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Small World (German Edition)

Small World (German Edition)

Titel: Small World (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Hat nicht jemand gesagt, er könne sich an nichts mehr erinnern?«
    Elvira antwortete nicht.
    Thomas blickte den Polizisten, Konrad Lang und Simone nach. »Biarritz! Die kennen sich doch nicht aus Biarritz?«
    Zehn Tage später informierte Schöller seine Chefin darüber, daß Konrad Lang ins Alters- und Pflegeheim »Sonnengarten« eingewiesen worden sei.
    »Ich nehme an, damit ist das Thema ›Konrad Lang‹ für uns erledigt«, fügte er mit einem schmalen Lächeln hinzu.
    Elvira Senn hätte beinahe geantwortet: »Hoffentlich.«
    An diesem Abend ging Schöller sehr spät.

6
     
    Das Alters- und Pflegeheim »Sonnengarten« war ein sechsstöckiges Gebäude am Waldrand, nicht allzu weit von der »Villa Rhododendron« und vom Grand Hotel des Alpes, in dessen Bar Konrad Lang so manchen Negroni getrunken hatte, das ideale Nachmittagsgetränk.
    Jetzt saß er im Gemeinschaftsraum des obersten Stockwerkes und begriff nicht, was er hier verloren hatte.
    Das oberste Stockwerk war die geschlossene Abteilung des Heimes, in dem die sehr fortgeschrittenen Fälle untergebracht waren. Oder die, die wegliefen.
    Konrad Lang war kein sehr fortgeschrittener Fall, und die Ärzte hätten ihn lieber in einer anderen Abteilung gesehen, wo die Chancen, Ansprechpartner zu finden, besser waren. Aber erstens war in der Geschlossenen ein Einzelzimmer frei geworden, zweitens war bei Konrad Lang die Weglaufgefahr erwiesenermaßen groß, und drittens war es aufgrund des rapiden Verlaufs der Krankheit bei ihm nur noch eine Frage von Monaten, bis er ohnehin in die Geschlossene überwiesen werden müßte. Doch im Moment wirkte Konrad Lang in seiner neuen Umgebung eher wie ein Besucher als wie ein Patient.
    Als Rosemarie Konrad ins Heim gebracht und ihm geholfen hatte, seine Habseligkeiten in sein Zimmer mit dem Spitalbett zu bringen, hatte sie ihre Tränen nicht zurückhalten können.
    Er hatte sie in die Arme genommen und getröstet. »Nicht traurig sein. Es ist ja nicht für ewig.«
    Rosemarie litt unter ihrem schlechten Gewissen. Wenn sie nach einer schlaflosen Nacht, in der sie sich immer wieder vorgenommen hatte, ihn dort herauszuholen, am Morgen in den sechsten Stock kam, benahm er sich wie ein guter Freund, der vom Hotel abgeholt wurde. Sie machten lange Spaziergänge in den Herbstwäldern der Umgebung und tranken manchmal etwas in der Bar des Grand Hotel des Alpes, wo er Charlotte, die Nachmittags-Barfrau, mal mit Namen begrüßte, mal völlig ignorierte.
    Wenn sie ihn dann doch wieder in den »Sonnengarten« zurückbrachte, um ihn im Stich zu lassen, inmitten von hilflosen, desorientierten, pflegebedürftigen Greisinnen und Greisen, dann war er es, der sie aufmunterte und sagte: »Du mußt jetzt gehen, sonst kommst du mir noch zu spät.«
    Er brachte sie zum Lift, der nur mit dem Schlüssel der Stationsschwester gerufen und geöffnet werden konnte, und verabschiedete sich wie jemand, der auf Verständnis dafür hoffte, daß ihn lästige Verpflichtungen daran hindern, sie persönlich nach Hause zu begleiten.
    In der ersten Zeit versuchte sie, die Situation für ihn dadurch erträglicher zu machen, daß sie in ihre Wohnung fuhren, um dort gemeinsam den Tag zu verbringen. Aber es stellte sich schnell heraus, daß ihm die Wohnung fremd war. Eine große Unruhe überkam ihn jedesmal, wenn sie dort waren. Immer wieder trieb es ihn aus dem Fauteuil, in den sie ihn gesetzt hatte, während sie das Mittagessen zubereitete. Dann fand sie ihn in Mantel und Hut im Korridor, wie er an der verschlossenen Wohnungstür rüttelte.
    Diese Tage waren anstrengend für Rosemarie. Manchmal hörte sie ihn im Nebenzimmer sprechen, und wenn sie nachschaute, merkte sie, daß er sich mit ihr unterhielt. Wenn sie sich dann zu ihm setzte, um die Unterhaltung fortzuführen, schweiften seine Gedanken ab, und sein Gesicht bekam einen abwesenden Ausdruck. Dann konnte er plötzlich aufstehen mit den Worten: »So, es wird höchste Zeit.«
    Den ganzen Tag war er auf dem Sprung, doch wenn es Zeit wurde zu gehen, konnte er sie fassungslos anschauen und sagen: »Ich möchte nicht mehr ausgehen.«
    Am Abend eines solchen Tages, als sie ihn endlich aus der Wohnung gelockt hatte und sich die Lifttür im sechsten Stock des »Sonnengartens« auftat in den Gemeinschaftsraum und alle Blicke sich erwartungsvoll auf sie richteten, weigerte er sich, den Lift zu verlassen. Es brauchte alle ihre Überredungskünste und die Mithilfe eines kräftigen Pflegers, um ihn in sein Zimmer zu

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