Small World (German Edition)
Ehekrise.
Manchmal dachte sie, sie hätte eine richtige Szene machen sollen, damals. Dann wären vielleicht nicht so viele weitere Krisen gefolgt.
Urs Koch ließ keinen Zweifel daran, daß für ihn die Ehe nicht den Verlust der persönlichen Freiheit bedeutete, wie er sein Recht auf kleine, für ihre Beziehung völlig folgenlose Affären bezeichnete.
Simone war von ihrer Mutter zu einer in vielerlei Hinsicht pragmatischen Frau erzogen worden. Aber das hier war eine neue Erfahrung. Sie hatte bisher immer Verständnis dafür gehabt, wenn es Männer mit der Treue nicht so genau nahmen. Allerdings war damals immer sie die Frau gewesen, mit der sie in verschwiegenen Lokalen Händchen hielten.
Daß ein Mann nach so kurzer Zeit das Interesse an ihr verlor, verletzte sie nicht nur, es machte ihr auch angst. Ihre Mutter hatte ihr immer gesagt: »Du bist wie ich: niedlich, nicht schön. Unsereiner muß mit spätestens fünfundzwanzig unter der Haube sein.«
Sie war jetzt dreiundzwanzig und hatte gelernt, nicht alles für bare Münze zu nehmen, was ihre Mutter sagte. Aber wenn sie in den Spiegel schaute und sich ihr Kindergesicht mit Falten vorstellte, fragte sie sich schon, ob die Zeit noch reiche für einen Neuanfang.
So wehrte sie sich nur schwach, zählte ihre Ehekrisen und wurde zusehends depressiver. Etwas, was ihrem Aussehen nun wirklich schadete.
Was die Situation noch verschlimmerte, war der Umstand, daß sie in der »Villa Rhododendron« wohnten. Urs baute in der Nähe ein »denkendes Haus«, das unter anderem seine Fenster nach dem Sonnenlauf ausrichtete, seine Energiequellen nach Witterung und Verbrauch selbst bestimmte, seine Bewohner automatisch identifizierte und einließ. Er hatte, ohne Simone zu konsultieren, Elviras Angebot angenommen, bis zur Fertigstellung dieser Mischung aus Traumvilla und Werbegag für Koch-Electronics in den Trakt zu ziehen, der seit dem Auszug von Thomas Kochs dritter Frau ohnehin leer stand.
Simone fühlte sich in diesem alten, großen Haus mit seinen vielen Erinnerungen, die sie nicht teilte, und seinen vielen Ritualen, die sie nicht kannte, noch mehr als Außenseiterin. Sie hatte das Gefühl, alle beobachteten ihre Reaktion auf Urs’ Eskapaden, die weder den Familienangehörigen noch dem Personal verborgen blieben, und verlören zusehends das bißchen Respekt, das sie ihr am Anfang noch entgegengebracht hatten.
Elvira, Thomas und Urs waren alle auf ihre Art so mit sich selbst beschäftigt, daß sie Simones Anwesenheit nur dann bemerkten, wenn es gesellschaftlich erforderlich war.
Sonst war sie ihrer Schwermut überlassen, die jetzt, wo der Herbst sie daran erinnerte, wie rasch die Zeit vergeht und die Falten kommen, auch nicht leichter zu ertragen war.
Wie alle Schwermütigen ständig auf der Suche nach einer Kulisse für ihre Melancholie, schlich Simone durch den abgelegenen Teil des Parks, als sie etwas plätschern hörte. Aus den dichten Rhododendren, die den Plattenweg säumten, ragte ein älterer Herr, der offensichtlich am Pinkeln war.
Als er sie sah, nestelte er verlegen an seiner Hose. Simone wandte sich diskret ab. Als sie sich wieder umdrehte, war er verschwunden.
»Hallo!« rief sie. Keine Antwort. Nur eine schwache Bewegung der Blätter, dort, wo er gestanden hatte.
»Bitte kommen Sie heraus«, sagte Simone mit unsicherer Stimme.
Nichts rührte sich.
»Etwas nicht in Ordnung, Frau Koch?« fragte eine Stimme hinter ihr. Es war der Gärtner, Herr Hugli, der den Weg heraufkam.
»Da ist jemand«, antwortete sie. »Dort, in den Rhododendren, ein älterer Herr.«
»Sind Sie sicher?«
»Ich habe ihn gesehen. Jetzt ist er untergetaucht. Etwa dort.«
»He, raus hier, hopp!« rief Herr Hugli.
Alles blieb still. Er warf Simone einen skeptischen Blick zu.
»Ich habe ihn gesehen. Er hat gepinkelt, und dann ist er verschwunden. Er muß dort unten sein.«
Herr Hugli betrat vorsichtig das Beet und watete durch die Rhododendren, die ihm bis unter die Arme reichten. Simone dirigierte ihn.
»Etwas mehr nach rechts, ja, und jetzt sind Sie gleich dort. Vorsicht!«
Herr Hugli blieb stehen, verschwand in den Pflanzen und kam kurz darauf mit dem älteren Herrn wieder zum Vorschein. »Herr Lang!« stieß er überrascht aus.
Jetzt erkannte Simone den Mann wieder. Konrad Lang, der Brandstifter von Korfu.
Kurz vor Mittag hatte sich bei der Polizei ein Taxifahrer gemeldet. Er sei gestern zu Rosemarie Haugs Adresse bestellt worden. Ein älterer Herr mit einem Kissen. Er habe
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