Small World (German Edition)
und nickte Simone zu.
Schwester Ranjah blätterte zu Konrads Lieblingsfoto. »Das hier würde uns noch interessieren. Kannst du uns dazu etwas erzählen?« bat Simone. Sie nickte O’Neill zu.
Der Kompressor des Aerosolapparates begann zu summen. Schwester Irma schob die fahrbare Tischplatte zum Bett.
Konrad Lang freute sich auf das Spiel. Gerade als er damit beginnen wollte, sagte Simone: »Ach, machen wir doch vorher noch schnell die Inhalation.«
Sie nahm die Fotos von der Bettdecke, und Schwester Irma schob Konrad den Apparat unter die Nase.
»Was ist das?«
»Es ist wieder Zeit zum Inhalieren.«
Konrad gab sich keine Blöße. »Natürlich«, nickte er und ließ sich widerstandslos die Maske umschnallen. Simone und Schwester Ranjah lächelten ihm zu. Dann machten sie Platz für Dr. Kundert.
»Einatmen – ausatmen – einatmen – ausatmen«, befahl er. Konrad gehorchte. Kundert stellte sich auf seinen Rhythmus ein. Dann drückte er den Ventilknopf, ließ ihn los, drückte ihn, ließ ihn los. Bei jedem Einatmen inhalierte Konrad jetzt fein zerstäubte Tröpfchen POM 55.
»Einatmen – ausatmen – einatmen.«
»Atmen, atmen.«
Konrad Lang schloß die Augen.
»Atmen, atmen.«
Der Pegel im Vernebler sank.
»Atmen, atmen.«
»Rudern, rudern.«
Konrad riß die Augen auf, griff nach der Inhalationsmaske und zerrte sie sich vom Gesicht.
Niemand war darauf gefaßt gewesen, niemand hatte die Geistesgegenwart besessen, ihn daran zu hindern. Kundert gelang es gerade noch, den Apparat vor dem wild um sich schlagenden Konrad Lang in Sicherheit zu bringen.
Konrad Lang war nicht dazu zu bewegen, die Maske noch einmal anzuziehen. So beschlossen denn O’Neill und Kundert widerstrebend, es dabei bewenden zu lassen. O’Neills Messung des Restes POM 55 hatte ergeben, daß sie bis zum Zwischenfall etwa achtzig Prozent der Dosis verabreicht hatten.
»Das sollte genügen«, sagte er. Es klang nicht sehr überzeugt.
Konrad hatte eine Weile gebraucht, bis er sich beruhigt hatte. Simone versuchte vergeblich, ihn mit den Fotos abzulenken. Erst als alle den Raum verlassen hatten und Schwester Ranjah mit ihren Honigmandeln kam und in ihrem zärtlichen Kauderwelsch auf ihn einplapperte, entspannte er sich allmählich.
Nun saßen Kundert, O’Neill und Simone im Stationszimmer.
»Wenn es nicht funktioniert, werden wir nie wissen, ob nicht einfach die Dosis zu klein war«, ärgerte sich Kundert.
»Die Dosierung von experimentellen Medikamenten ist sowieso Glückssache«, beruhigte ihn O’Neill.
»Was geschieht jetzt?« erkundigte sich Simone.
»Jetzt warten wir ab«, antwortete Kundert.
»Wie lange?«
»Bis sich etwas tut.«
10
»Sie haben was probiert?« fragte Elvira Senn entgeistert. »Konrad Lang ist im Rahmen eines klinischen Tests ein Medikament verabreicht worden, das noch in der Forschung steckt«, erklärte Dr. Stäubli.
»Das dürfen die?«
»Wenn ein Arzt den Antrag stellt und alle Beteiligten einverstanden sind.«
»Ich wurde nicht gefragt.«
»Sie sind nicht beteiligt in diesem Sinn. Beteiligt sind der Arzt, das Pharmaunternehmen, eine Ethik-Kommission und der Patient. In diesem Fall die Vormundschaftsbehörde.«
»Und alle waren einverstanden?«
»Offenbar.«
Elvira Senn schüttelte den Kopf. »Ich dachte, das sei unheilbar.«
»Ist es auch. Bis jetzt.«
»Und Koni wird vielleicht der erste, den sie heilen?«
»Bestenfalls leistet er einen wissenschaftlichen Beitrag zur Alzheimerforschung.«
»Ohne es zu wissen?«
»Ohne den Hauch einer Ahnung.«
Die nächsten Tage konzentrierte man sich im Gästehaus darauf, die beiden Patienten wieder auf die Beine zu bekommen.
Konrad Lang wurde ein Gehgips angepaßt. Der Therapeut und Schwester Irma bemühten sich, ihn täglich zu ein paar Schritten zu bewegen.
Simone Koch verbrachte den größten Teil der Tage an der Infusion. Aber an Nachmittagen schaute sie mit Konrad ungefähr eine Stunde lang Fotos an, falls sie sein Interesse so lange fesseln konnte. Sie stellte ihm ihre genau vorgegebenen Fragen, Dr. Kundert wertete die Antworten am Bildschirm aus.
Bisher war, abgesehen von den üblichen Schwankungen, keine Verschlechterung festzustellen. Was nach so kurzer Zeit allerdings noch kein Grund zum Optimismus war.
Die einzige Überraschung im Gästehaus in diesen Tagen war ein Besuch von Thomas Koch.
Er stand plötzlich braungebrannt und energiegeladen vor der Tür und forderte Einlaß. Schwester Irma, die ihn noch nie zuvor gesehen
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