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Small World (German Edition)

Small World (German Edition)

Titel: Small World (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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gewonnen. Die Schwangerschaft sah man ihrer Figur noch kaum an. Aber sie war etwas bleich, und das Make-up hatte die Schatten unter den Augen nicht ganz zum Verschwinden gebracht.
    »Geht es Ihnen besser?« fragte Dr. Kundert.
    Simone nickte.
    »Können wir mit Ihnen rechnen?«
    Für den Fall, daß sie die Bewilligung erhielten, waren eine ganze Reihe von Tests vorgesehen, mit denen sie die Wirkung der Behandlung messen wollten. Neben den apparativen, labordiagnostischen und psychologischen Untersuchungen wollten sie auch Konrads Erinnerungsvermögen anhand der Fotos aus seiner Vergangenheit kontrollieren. Simone hatte sich damit einverstanden erklärt, bei diesem Teil des Programms mitzuarbeiten. Sie sollte weiterhin mit ihm die Fotos anschauen und sich dabei an ein bestimmtes Fragemuster halten, in der Hoffnung, daß man aufgrund seiner Antworten feststellen konnte, ob sich sein Erinnerungsvermögen weiter verschlechtert hatte oder gleich geblieben war.
    »Natürlich können Sie mit mir rechnen. Aber vielleicht planen Sie mich doch besser für die Nachmittage ein.«
    Konrads Lieblingsfoto zeigte ein Mercedes Kabriolett auf einer Wiese an einem Waldrand. An der verchromten Verschalung des Reserverades, die sich an den elegant geschweiften vorderen Kotflügel schmiegte, lehnte Elvira, ganz in Weiß: enger, wadenlanger Rock; kurzes, zweireihiges Jackett mit ausladendem Revers; Handschuhe; Baskenmütze vom linken Scheitel über das rechte Ohr. Nur Schuhe und Strümpfe waren schwarz.
    Unter dem linken Arm hatte sie eine henkellose Krokotasche geklemmt, der rechte Ellbogen war nonchalant ins offene Fenster gestützt. Auf den ersten Blick sah es aus, als ob sie allein sei auf dem Bild. Aber schon als Konrad das Foto zum ersten Mal sah, hatte er Simone auf ein Haarbüschel hinter dem hinteren linken Kotflügel aufmerksam gemacht: »Koni.« Bei näherer Betrachtung konnte man eine halbverdeckte Stirn erkennen und ein Auge, das hervorspähte.
    Dann zeigte Konrad auf den vorderen linken Kotflügel: »Tomi.« Auch dort konnte man in der Lücke zwischen Scheinwerfer und Kühler einen versteckten Buben hervorlinsen sehen. »Der Mercedes macht hundertzehn.«
    Von da an wartete er jedesmal, wenn das Foto an die Reihe kam, amüsiert ab, ob ihr etwas daran auffiel. Wenn sie ihm dann den Gefallen tat, nichts Besonderes an dem Bild zu finden, zeigte er ihr mit kindlicher Freude die beiden versteckten Buben. »Koni. – Tomi.« Und fügte geschäftsmäßig hinzu: »Der Mercedes macht hundertzehn.«
    Wenn er apathisch und deprimiert war und die Fotos wegschob, konnte sie ihn jedesmal mit diesem Vexierbild aus seiner Stimmung herausholen. Wenn nötig, auch mehrmals kurz hintereinander.
    Dieses Spielchen spielte Simone mit Konrad, als Schwester Irma hereinkam und ausrichtete, Dr. O’Neill sei nebenan und möchte sie kurz sprechen.
    Im Wohnzimmer standen O’Neill und Kundert am Tisch um einen kleinen eckigen Apparat mit einem Aufsatz, an dem eine Maske steckte. Sie sah aus wie die Sauerstoffmaske, deren Anwendung das Kabinenpersonal den Passagieren vor jedem Flug demonstriert.
    O’Neill hielt sich nicht lange mit der Begrüßung auf. »Wir sollten ausprobieren, wie er darauf reagiert.«
    »Was ist das?«
    »Ein Aerosolapparat. Damit werden wir POM 55 verabreichen. Es wird inhaliert.«
    »Inhaliert? Ich hatte gedacht, gespritzt oder geschluckt.«
    »Das wäre besser. Aber so weit sind wir noch nicht. Er muß es inhalieren. Der beste Weg, um die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden.«
    Simone nickte. »Was soll ich tun?«
    Dr. Kundert schaltete sich ein. »Der Zerstäuber ist jetzt mit Wasser und ein paar Tropfen ätherischem Öl gefüllt. Ich möchte nur, daß Sie jetzt wieder zurückgehen und weiter mit ihm Bilder anschauen. Dann kommen wir, und Sie bitten ihn, kurz zu inhalieren, und wir schauen, ob es Probleme gibt und ob die Maske paßt und so weiter. Er sollte möglichst entspannt sein.«
    Als Simone in Konrads Zimmer zurückkam, döste er vor sich hin. Sie hatte einige Mühe, seine Konzentration auf die Fotos zu lenken. Erst als der Mercedes kam, erwachte sein Interesse.
    »Ach, und hier, das ist Elvira vor einem Auto?«
    Er schmunzelte einen Moment und sagte nichts. Dann zeigte er auf den hinteren Kotflügel. »Koni.« Und dann auf den vorderen. »Tomi.«
    Dann lachte er und fügte hinzu. »Der Mercedes macht hundertzehn.«
    Er beachtete Dr. Kundert und Schwester Irma kaum, als sie mit dem Apparat ins Zimmer kamen und diesen auf

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