Small World (German Edition)
hatte, machte den Fehler, ihn zu fragen, wer er sei und was er wolle. Und er machte den Fehler, ihr zu antworten: »Das geht Sie einen Dreck an! Lassen Sie mich rein!«
Dr. Kundert hörte die laute Diskussion im Windfang, sah nach, was los war, und rettete die Situation.
Kurz darauf stand Thomas gereizt im Zimmer, in dem seine Schwiegertochter an der Infusion hing und die Tropfen zählte.
Ihr Anblick – die hübsche Frau und werdende Mutter seines ersten Enkels – besänftigte ihn sofort. Anstatt sich über den Empfang durch Schwester Irma zu beklagen, was er sich fest vorgenommen hatte, sagte er: »Ich hoffe, es geht dir bald wieder gut.«
»Das hoffe ich auch«, seufzte Simone. »Wie war es?«
»Wo?«
»Ich weiß nicht. Da, wo du gerade warst.«
Thomas Koch überlegte einen Moment. »Jamaika.«
»Vielleicht reist du zuviel.«
»Wieso?«
»Wenn du so lange überlegen mußt, wo du gerade warst.«
»Das ist das Alter.« Er lachte etwas zu laut und setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett. Dann wurde er ernst. Er nahm väterlich ihre Hand.
»Urs hat mir gestanden, daß du nicht nur wegen deinen Schwangerschaftsproblemen hier schläfst.«
Simone antwortete nichts darauf.
»Ich habe ihm den Kopf gewaschen.«
Sie wünschte, er würde ihre Hand loslassen.
»Ich fürchte, das hat er von mir. Die Katze läßt das Mausen nicht. Aber auf eines kannst du dich bei den Kochs verlassen: Wenn es hart auf hart geht, dann halten wir zu unseren Frauen. Was bedeutet schon alles andere? Nichts.«
Sie zog ihre Hand weg.
»Ich verstehe dich ja. Das tut man nicht, vor allem nicht, wenn die Frau in Erwartung ist. Dafür gibt es keine Entschuldigung.« Er kam zur Sache. »Trotzdem: Ich finde, du solltest hier raus. Ärzte, Krankenschwestern und ein alter Mann, der vor sich hin stirbt, sind eine bedrückende Umgebung für eine werdende Mutter. Wir richten dir drüben ein Zimmer ein und engagieren eine Pflegerin. Du wirst staunen, wie schnell du wieder auf den Beinen bist.«
»Ich habe hier alles, was ich brauche, und werde ausgezeichnet gepflegt. Ein untreuer Ehemann ist auch nicht gerade die ideale Umgebung für eine werdende Mutter.«
»Es wird nicht mehr vorkommen.«
»Es ist einmal zu oft vorgekommen.«
»Das renkt sich wieder ein.«
»Nein.«
Das klang, als ob Simone lange über alles nachgedacht hätte. Dabei war es ihr erst jetzt, in dieser Sekunde, klargeworden. Nein, es würde sich nicht mehr einrenken. Nie mehr. Es wurde Zeit, daß sie sich Gedanken darüber machte, wie es weitergehen sollte.
»Was heißt das?«
»Ich weiß es noch nicht.«
»Mach keine Dummheiten.«
»Bestimmt nicht.«
Thomas stand auf. »Kann ich Urs etwas ausrichten?«
Simone schüttelte den Kopf.
»Werd bald gesund«, sagte Thomas, drückte ihren Arm und stand auf.
»Warst du bei Konrad?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ich wüßte nicht, was mit ihm reden.«
»Über alte Zeiten.«
»Alte Zeiten machen alt«, grinste Thomas und ging aus dem Zimmer.
Von diesem Augenblick an ging es Simone besser. Noch am gleichen Abend lösten die Gerüche, die aus der Diätküche heraufdrangen, bei ihr Hunger aus statt Übelkeit. Sie bat die erstaunte Schwester Ranjah, ihr etwas zu essen zu bringen, und verschlang mit Appetit zwei große Salamisandwiches. In der Nacht schlief sie wunderbar. Der Schwindel und das Erbrechen am Morgen blieben aus. Sie machte sich über ein großes Frühstück her.
Die plötzliche Gewißheit, daß sie Urs nicht liebte und ihr Leben nicht mit ihm verbringen wollte, hatte Simone gesund gemacht.
Sie brauchte von nun an keine Infusionen mehr, nahm sich aber vor, das vor der Familie Koch zu verheimlichen, bis sie sich die weiteren Schritte überlegt hatte. Vorläufig wollte sie noch im Gästehaus bleiben.
So plötzlich sich Simones Zustand verbesserte, so abrupt verschlechterte sich der von Konrad Lang.
Er hatte in der Nacht mehrmals versucht aufzustehen. Jedesmal war Schwester Ranjah, die den Monitor nicht aus den Augen ließ, rechtzeitig in seinem Zimmer erschienen und hatte das Schlimmste verhindert.
Jedesmal bestand er darauf, sich anzuziehen. Ranjah, die in der Tradition geboren und erzogen war, alte Menschen und ihren Willen zu respektieren, stützte ihn jedesmal zum Schrank und half ihm dabei.
Wenn Konrad dann in einem bizarren Aufzug – auch darin ließ Ranjah ihm seinen Willen – im Zimmer stand, wußte er nicht mehr, was er vorgehabt hatte.
Ranjah half ihm dann geduldig, sich wieder auszukleiden
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