Small World (German Edition)
Kind.
»Ach, und ich dachte, es sei Elvira.«
Koni schüttelte den Kopf über so viel Begriffsstutzigkeit.
Neben dem Bild von Elvira war ein weißer Fetzen, wo früher einmal ein Foto geklebt hatte. Simone blätterte.
Das nächste war von der Südseite der Villa her aufgenommen. Es zeigte die Treppe zur großen Terrasse, und darauf Wilhelm Koch. Er trug eine helle Hose, ein weißes Hemd mit Krawatte und eine dunkle Weste, aber kein Jackett. Er hatte einen runden, kahlen Schädel und lächelte steif in die Kamera.
»Und dieser Mann?«
Koni hatte sich damit abgefunden, daß er seiner Befragerin selbst die offensichtlichsten Dinge erklären mußte. »Papa Direktor«, antwortete er geduldig.
»Wessen Papa ist er?«
»Tomitomis.«
Auf der gegenüberliegenden Seite, neben einem weggerissenen Bild, war der Pavillon zu sehen. Die Rhododendren waren noch kleine Pflänzchen, und die Fichten im Hintergrund gab es heute nicht mehr. Am gußeisernen Geländer standen zwei alte Frauen mit breitkrempigen Hüten und formlosen, weiten, fast bodenlangen Kleidern.
»Tante Sophie und Tante Klara«, erklärte Koni unaufgefordert. Sein Interesse war jetzt geweckt. Dr. Kundert registrierte es am Monitor mit Erleichterung.
Seite um Seite gingen Simone und Konrad zusammen das Album durch. Bilder vom Park, von »Papa Direktor«, von »Fräulein Berg«, »Tante Sophie und Tante Klara«. Und Bilder, von denen nur noch ein weißer Fetzen übriggeblieben war.
Eines der letzten zeigte Elvira in einem geblümten, kurzärmeligen, zweiteiligen Sommerkleid an der Brüstung der Terrasse. Neben ihr stand Wilhelm Koch und hatte – was er auf keinem anderen Foto tat – besitzergreifend den Arm um sie gelegt. Im Hintergrund sah man den See in der Talsohle und die noch kaum verbauten Hügelzüge des anderen Ufers.
»Papa Direktor und Mama«, kommentierte Konrad.
»Wessen Mama?«
»Von Tomitomi«, seufzte Konrad Lang.
»Fräulein Berg ist die Mama von Tomitomi?«
»Jetzt schon.«
Beim letzten Foto, um das herum alle anderen weggerissen worden waren, geschah etwas Seltsames. Es zeigte eine Rabatte vor einer Hecke und einen Kübel mit einem blühenden Oleander, um den es dem Fotografen wohl gegangen war. Koni studierte das Bild lange und genau. Schließlich konstatierte er: »Papa Direktor und Tomitomi.«
Simone schickte einen Blick zum versteckten Objektiv.
»Papa Direktor« – Koni zeigte auf eine Stelle im Oleander – »und Tomitomi.« Er deutete auf eine Stelle dicht darunter.
Erst als Simone genauer hinschaute, merkte sie, daß der Fotograf den Film zu transportieren vergessen und das Foto zweimal belichtet hatte. In der Hecke konnte sie schemenhaft den kahlen Schädel von Wilhelm Koch erkennen. Und auf seinem Schoß die Umrisse eines Kindes.
Dr. Kundert und Simone saßen lange über den Fotos und versuchten aus den Antworten klug zu werden. Daß Elviras Mädchenname Berg gewesen war, war kein Geheimnis. Aber wenn Konrad dieser Name geläufig war, mußte er sie schon gekannt haben, bevor seine Mutter Anna Lang damals ihren Dienst in der »Villa Rhododendron« antrat. Zu der Zeit war Elvira schon Frau Direktor Koch gewesen.
Natürlich war es nicht unwahrscheinlich, daß die junge Elvira als Frau eines um so viele Jahre älteren Mannes jemanden zur Gesellschaft engagiert hatte, den sie von früher kannte.
Viel eigenartiger war dagegen die Doppelbelichtung. Je mehr sich ihre Augen darauf eingestellt hatten, das andere, schwächere Bild anzuschauen, desto deutlicher wurde es. Darüber, daß es sich bei dem Mann um Wilhelm Koch handelte, bestand kein Zweifel. Aber das Kind sah nicht aus wie Thomas. Weder die charakteristische Schädelform noch die eng zusammenliegenden Augen waren auszumachen. Wenn der Kleine jemandem glich, dann eher den Kinderfotos von Konrad Lang.
»Warum gibt es im ganzen Album kein einziges Foto von Thomas?« fragte Dr. Kundert.
»Vielleicht waren es die, die fehlen.«
»Warum sollte sie jemand herausreißen?«
Simone sprach aus, was sie beide dachten: »Weil das Kind auf den Fotos nicht Thomas Koch ist.«
In derselben Nacht rief Urs Simone von der Villa aus an. »Ich muß mit dir sprechen. Jetzt. Ich komme rüber.«
»Es gibt nichts zu besprechen.«
»Und was ist mit den Fotos, die du Elvira gestohlen hast?«
»Ich habe sie nur ausgeliehen und Kopien davon gemacht.«
»Du bist bei ihr eingebrochen.«
»Ich habe den Schlüssel benutzt.«
»Du bist in ihre Privatsphäre eingedrungen. Für das, was
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