Small World (German Edition)
Pinselstriche strahlenförmig umgaben. Darunter hatte er in großen steifen Druckbuchstaben geschrieben: »KoniTomi Lang – Haus für SchneeSchneebälle im Mai.«
»Wirklich sehr schön«, sagte auch Simone. Sie setzte sich neben Konrad und legte die Fotos vor ihm auf den Tisch, während die Beschäftigungstherapeutin ihre Utensilien zusammenräumte. In der Geschäftigkeit, die dadurch entstand, hatte sie Dr. Stäubli nicht hereinkommen hören.
Erst als sie beim dritten »Tomikoni, Konitomi« entmutigt den Blick zur Kamera hob, sah sie ihn neben dem Tisch stehen.
In Elviras Frühstückszimmer waren die Fenster offen. Die Nachmittagssonne schien tief hinein bis zum kleinen Sofa, wo sie mit Dr. Stäubli saß.
Er war gerade vom Gästehaus gekommen und hatte von einer weiteren Verschlechterung von Konrads Zustand berichtet.
»Also noch keine medizinische Sensation«, stellte sie fest.
»Sieht nicht so aus. Als ich kam, erkannte er nicht einmal sich selbst auf alten Fotos. Konitomi und Tomikoni war alles, was er sagte.«
»Was für alte Fotos?«
»Simone zeigte ihm Fotos, auf denen Sie und Thomas und Konrad offenbar auf Europareise sind. Die Buben sind wohl etwa sechs.«
Elvira stand wortlos auf und verschwand durch die Tür zum Ankleidezimmer. Dr. Stäubli blieb sitzen und fragte sich, was er wohl Falsches gesagt hatte.
Nach kurzer Zeit kam Elvira mit einem Fotoalbum zurück. »Diese Fotos?«
Stäubli nahm das Album, blätterte darin und nickte. »Fotokopien von genau diesen Fotos.«
Elvira mußte sich setzen. Sie sah plötzlich beinahe so alt aus, wie sie wirklich war. Dr. Stäubli nahm ihr Handgelenk, schaute auf die Uhr und begann ihren Puls zu zählen.
Elvira zog unwirsch die Hand zurück.
Dr. O’Neill, Dr. Kundert und Simone saßen im Stationszimmer und tranken Kaffee. Über den Monitor des Wohnzimmers sah man Konrad Lang in seinem Sessel sitzen. Das eingegipste Bein war hochgelagert, und er döste. Er hatte weder gefrühstückt noch zu Mittag gegessen.
Simone stellte die Frage, die sie schon lange beschäftigte: »Daß die Behandlung den Prozeß beschleunigt hat, ist völlig ausgeschlossen?«
Kundert und O’Neill wechselten einen Blick. »Soweit ein Wissenschaftler etwas völlig ausschließen kann, ja«, antwortete O’Neill.
»Es ist also nicht völlig ausgeschlossen?«
»In Zellkulturen und im Tierversuch wurde der Prozeß nach zwei bis drei Wochen gestoppt und in keinem Fall nur verlangsamt und in keinem Fall beschleunigt. Das heißt, daß ich zwar persönlich nicht sicher bin, ob es das beim Menschen auch tut, aber ich bin hundertprozentig davon überzeugt, daß es nicht das Gegenteil bewirkt. Wissenschaftlich beweisen kann ich es Ihnen nicht.«
O’Neill schenkte sich Kaffee nach. Simone und Kundert wurden den Eindruck nicht los, daß seine kurze Ansprache auch dazu gedient hatte, sich selbst zu überzeugen.
»Bei Herrn Lang sind es jetzt dann fünf Wochen«, bemerkte Simone.
»Danke, daß Sie mich daran erinnern«, brummte O’Neill.
»Vielleicht sind es die fehlenden zwanzig Prozent der Verbindung. Vielleicht sollte man eine zweite Anwendung machen.«
»Wir haben die Erlaubnis für eine einmalige Anwendung.«
Sie starrten auf den Monitor. Konrad Lang bewegte sich. Er öffnete die Augen, schaute sich erstaunt im Zimmer um, schloß sie wieder und döste weiter.
»Ich glaube immer noch daran, daß es funktioniert«, beteuerte O’Neill.
»Wenn es dann nicht zu spät ist«, zweifelte Simone.
»Der Mensch kann noch mit Bruchteilen seines Gehirns funktionieren«, sagte Dr. Kundert.
»Es müssen allerdings die richtigen Bruchteile sein«, schränkte O’Neill ein.
»Und wenn die falschen überleben?« wollte Simone wissen.
»Ein Forscherteam hat bewiesen, daß sich unter gewissen Voraussetzungen Nervenzellen regenerieren können. Und wir wissen auch, daß man in Zellkulturen Zellen mit einer Anzahl Faktoren behandeln kann, mit dem Resultat, daß neue Kontakte sprießen. Wir wissen nur nicht, ob das gut ist oder schlecht, denn normalerweise entstehen neue Kontakte, wenn die Zellen etwas lernen. Das ist ein sehr kontrollierter Prozeß. Wenn wir den unkontrolliert auslösen, kann es sein, daß Kontakte sprießen, die man gar nicht will.«
»Das heißt, bis dieses Problem gelöst ist, bleiben die Zellen kaputt.«
O’Neill wollte sich nicht festlegen. Kundert fuhr fort. »Die Neurologie kennt viele Fälle, in denen Patienten nach einem Schädeltrauma oder einer Operation große
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