Smaragdjungfer
neuen Kollegen bekommen, mit dem ich mir ein Zimmer teilen muss. Einige der lieben Kollegen haben ihm wer weiß welche Schauermärchen über mich erzählt. Er hat jedenfalls nachdrücklich klargemacht, dass er lieber anderswo mit jemand anderem arbeiten würde, wenn man ihm die Wahl gelassen hätte.«
»Was haben Sie ihm geantwortet?«
»Dass er sich zum Teufel scheren soll.«
Keller lachte und schüttelte den Kopf. »Und was haben Sie wirklich zu ihm gesagt?«
Paula seufzte. Er kannte sie einfach zu gut, was sie manchmal als nervtötend empfand. Andererseits zwang er sie dadurch, zu sich selbst ehrlich zu sein.
»Dass er seine Kommentare auf unsere Arbeit beschränken und mich ansonsten in Ruhe lassen soll. Aber das mit dem Teufel kommt noch, wenn er so weitermacht. Garantiert!«
Keller wartete einen Moment, ob sie noch etwas hinzufügen wollte. Als sie schwieg, fragte er: »Wie fühlte es sich für Sie an, an Ihre alte Wirkungsstätte zurückzukehren?«
Paula seufzte tief. Sie folgte mit dem Blick dem verschlungenen Rankenmuster des Teppichs unter ihren Füßen. Sich visuell an diesem Muster festzuhalten, hatte ihr in der Vergangenheit schon so manches Mal geholfen, ihr fragiles Gleichgewicht zu bewahren. Dabei kannte sie es inzwischen auswendig und hätte es mit geschlossenen Augen aufmalen können.
»Fremd und vertraut zugleich«, beantwortete sie endlich Dr. Kellers Frage. »Vertraut, weil es dasselbe Gebäude ist und ich jeden Flur kenne. Fremd, weil sie mich in ein anderes Büro abgeschoben haben. Von der Begrüßung, die einige Kollegen mir zuteil werden ließen, gar nicht zu reden.«
»Wie sah die aus?«
Paula kamen ungewollt die Tränen. Sie versuchte, sie zu unterdrücken, was nicht klappte. Erst recht nicht, als Keller ihr ein Papiertaschentuch aus der Spenderbox reichte, die immer gut gefüllt auf dem Tisch stand. Sie weinte eine Weile stumm ins Taschentuch, während der Psychiater geduldig darauf wartete, dass sie sich wieder beruhigte.
»Man hat ein Foto von Christopher mit Trauerschleife und die Ermittlungsakte seines Falls auf meinen Tisch gelegt und die Telefone in meinem neuen Büro mit seinem Geburts-und Todestag als Durchwahlen versehen.«
Keller stieß scharf die Luft aus. »Das ist heftig.«
Paula nickte. »Und das Gerücht, dass ich schuld an Christophers Tod wäre, hält sich immer noch.«
»Aber das sind Sie nicht.«
»Das scheint bloß keinen zu interessieren. Na ja, fast niemanden.« Sie knüllte das Taschentuch zusammen und warf es zielsicher in den Abfallkorb, der unter dem Waschbecken neben der Tür stand.
»Hatten Sie Flashbacks?«
»Teilweise sogar ziemlich intensive.« Sie sah dem Therapeuten in die Augen. »Aber auch das hatte ich erwartet und kann es aushalten. Schließlich haben Sie mir ja versichert, dass das im Laufe der Zeit aufhört.«
Er nickte. »Das wird es. Sie sind jedenfalls eine tapfere Frau, dass Sie sich den Dämonen der Vergangenheit derart stellen.«
Paula schnaufte ironisch. »Mein Vorgesetzter nannte es Sturheit und legte mir mal wieder nahe, mich versetzen zu lassen.«
Keller zuckte mit den Schultern. »Das ist wohl Ansichtssache. Für mich ist ein Mensch, der sich einer Sache stellt, obwohl er weiß, dass es für ihn schmerzhaft werden wird, ausgesprochen mutig und eben tapfer. Nur so kann man ein Trauma wirklich bewältigen. Allerdings muss man durchhalten.«
»Oh, ich werde durchhalten, Herr Keller, mein Wort drauf!« Eher würde sie bei dem Versuch verrecken, als Kollegen wie Hansen den Triumph zu gönnen, sie scheitern zu sehen.
»Daran zweifele ich nicht, Frau Rauwolf«, versicherte er sanft und fügte ernst hinzu: »Wenn Sie mal außerplanmäßig dringend meine Hilfe brauchen, werde ich für Sie jederzeit einen Notfalltermin freischaufeln. Innerhalb einer Stunde, wenn es sein muss, und notfalls auch mitten in der Nacht. Das sollten Sie immer im Kopf behalten.«
Paula nickte. »Danke. Ich hoffe, ich muss niemals von diesem Angebot Gebrauch machen.«
Er ging nicht darauf ein, sondern wartete, dass Paula ihm berichtete, was ihr noch auf der Seele lag.
»Die alten Mechanismen kommen wieder durch. Sie wissen schon: meine Taktik der Präventivverteidigung. Von manchen Leuten auch ›Angriff‹ genannt. Ich habe wieder das Gefühl, dass jeder Mensch mein Feind ist. Fast jeder. Und ich reagiere entsprechend.« Sie verzog das Gesicht zu einer schiefen Grimasse. »In dem Punkt scheine ich einfach nicht anders zu können.«
»Wenn Sie
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