Smaragdjungfer
auszugeben versucht, weil sie sich ihrer Herkunft geschämt hat, statt stolz darauf zu sein.« Sie schüttelte erneut den Kopf. »Ich frage heute Abend mal meinen Vater. Auch wenn manche von uns keinen Kontakt zur Gemeinschaft haben wollen, als rom baro weiß er immer, wer in der Stadt ist und zu wem er gehört.«
Genau das war der Grund, weshalb Paula sich an Ileana gewandt hatte. »Grüß ihn bitte von mir. Und den Rest der Familie natürlich auch.« Sie trank ihre Jumbotasse aus, schob Ileana einen Geldschein hin und stand auf. »Ich muss wieder an die Arbeit. A´s Devlesa, mi phen! – Bleib mit Gott.«
»´Za Devlesa, Paula. – Geh mit Gott.«
Paula verließ das Celona und wartete draußen auf Rambacher, der zwei Minuten später herauskam. Er warf ihr einen abschätzenden Blick zu. Zwar hatte er ihre Unterhaltung mit Ileana gehört, aber kein Wort verstanden, da sie Romanes gesprochen hatten. Paula konnte förmlich sehen, wie er sich fragte, ob sie mit ihrem dunkelblonden Haar, der hellen Haut und den blauen Augen wohl auch eine Romni sein könnte. Sie hatte nicht vor, ihn aufzuklären.
»Sie kennt die Tote nicht«, teilte sie ihm lediglich mit. »Aber sie hört sich um, ob sie jemandem bekannt ist und gibt mir Bescheid.«
Rambacher antwortete nicht, wofür sie ihm dankbar war. Die Migräne hatte sich trotz des Kaffees verstärkt und begann lästig zu werden. Sobald sie wieder in der Dienststelle war, würde sie eine Tablette einwerfen. Am besten gleich zwei. Und hoffen, dass es nicht noch schlimmer wurde. Denn dann stand ihr eine schlaflose Nacht bevor.
Paula machte Feierabend, nachdem sie ihren Bericht geschrieben hatte. Die Auswertung von Jasmins Kalender hatte Zeit bis morgen. Sie versprach sich ohnehin nicht viel davon, außer der Erkenntnis, welche honorigen Persönlichkeiten zu Jasmins Kunden gezählt hatten.
Sie verzichtete darauf, Rambacher einen schönen Feierabend zu wünschen, der sie seinerseits auch nicht verabschiedete. Sie nickte ihm lediglich kurz zu und verließ das Gebäude, froh darüber, dass ihr erster Tag vorbei war und sie ihn halbwegs überstanden hatte. Trotzdem brauchte sie unbedingt das Gespräch mit Dr. Keller, zu dem er sie in einer halben Stunde erwartete.
Sie fuhr zur Reinhard-Nieter-Klinik, dem psychiatrischen Krankenhaus, in dem sie vier Monate auf Station gelegen hatte, ehe sie für weitere sechs Monate in die Tagesklinik wechselte. Im Anschluss daran hatte Dr. Keller, der hier als Stationsarzt arbeitete, ihre Behandlung ambulant weitergeführt und setzte sie immer noch fort.
Paula ging den vertrauten Weg zu seinem Gesprächszimmer und fühlte sich in diesem Gebäude wie immer geborgen. Es war ihr beinahe zu einem zweiten Zuhause geworden und immer noch der einzige Ort, an dem sie sich emotional sicher fühlte. Sie grüßte die Dame in der Pförtnerloge, die ihr lächelnd zuwinkte und zum Telefon griff, um Dr. Keller von Paulas Ankunft zu benachrichtigen.
Der Psychiater empfing sie deshalb schon an seiner Zimmertür und reichte ihr die Hand. »Moin, Frau Rauwolf. Treten Sie ein und nehmen Sie Platz.«
»Moin, Herr Keller.«
Keller bestand darauf, von seinen Klienten – er nannte sie niemals Patienten – nicht mit seinem Doktortitel angeredet zu werden. »Das schafft ein Ungleichgewicht zwischen uns. Ich begegne meinen Klienten gern auf Augenhöhe. Also lassen Sie bitte den ›Doktor‹ weg.«
Paula setzte sich in den bequemen Ledersessel, in dem sie schon unzählige Stunden verbracht hatte. Dr. Keller schenkte ihr unaufgefordert ein Glas Tee ein, ehe er sich ihr in einem Hundertzwanzig-Grad-Winkel gegenübersetzte und sie erwartungsvoll ansah. »Wie geht es Ihnen heute?«
»Ich lebe noch.« Ihr ironischer Ton sagte ihm garantiert mehr als alle Worte.
»Wie war Ihr erster Arbeitstag?«
»Erträglich.«
Er gestattete sich ein Schmunzeln. »Das ist die Klassifizierung, die Ihr Verstand vorgenommen hat. Aber wie ordnet Ihr Gefühl diesen Tag ein?«
»Beschissen ist noch geprahlt.« Trotzig fügte sie hinzu: »Aber ich hatte nichts anderes erwartet.«
Dr. Keller war gegenwärtig der einzige Mensch auf der Welt, dem sie weitgehend vertraute. Es gab nur eine Person, zu der sie wirklich uneingeschränktes Vertrauen besaß: sie selbst. Das hatte ihr Leben sie gelehrt. Immerhin kam Dr. Keller diesem absoluten Vertrauen für Paulas Begriffe recht nahe. Beinahe schon zu nahe.
Er wartete auf eine Erläuterung. Paula zuckte mit den Schultern. »Ich habe einen
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