Smaragdjungfer
Laufe der Zeit zurück, andere nicht. Und in dieser Phase fühlt man sich verloren. Das ist ganz natürlich. Eine Lösung des Problems kann sein, dass man die neuen Dinge in sich integriert. Dann sind sie nicht mehr fremd.«
»Mit anderen Worten: die alte Paula ist weg und kommt nicht wieder.«
»Wollen Sie die alte Paula denn wiederhaben?«
Typisch Keller. Er gab ihr selten eine klare Antwort. Stattdessen zwang er sie, ihre Antworten selbst zu finden. Unterm Strich nicht das Schlechteste. Die Frage blieb: Wollte sie die alte Paula zurück? Sie wollte Christopher zurück, der ihr Halt und Stabilität gegeben hatte. Der sie so liebte, wie sie war, mit allen Ecken und Kanten und ihrer Skorpionszunge. Bei ihm hatte sie sich wohl und sicher gefühlt und eins mit sich selbst.
»Ich will wieder der Mensch sein, der ich mit Christopher gewesen bin.«
Keller lächelte. »Dann werden wir als Nächstes daran arbeiten, die dazugehörigen Eigenschaften verstärkt zu fördern. Denn die stecken immer noch in Ihnen. Sie sind bloß durch Ihre Lebensumstände in den Hintergrund getreten.« Er beugte sich vor und lächelte ermutigend. »Sie schaffen das, Frau Rauwolf. Sie haben schon so viel geschafft. Das packen Sie auch noch.«
»Ihr Wort in Gottes Ohr.«
»Was brauchen Sie heute?«
Paula zögerte. »Ich denke, ein paar Stabilisierungsübungen könnten nicht schaden. Schließlich stehe ich momentan allein gegen alle – fast alle – und habe auch noch Christophers Geist wieder im Nacken.«
Keller begann unverzüglich, Paula durch die ihr längst vertrauten Übungen zu führen. Seine ruhige Stimme half ihr, wieder zur Ruhe zu kommen. Sie merkte erst jetzt, wie angespannt sie seit heute Morgen gewesen war, und genoss es, sich mit Kellers Hilfe wieder entspannen und zentrieren zu können.
Als sie die Klinik eine Stunde später verließ, fühlte sie sich rundherum besser. Wie es aussah, würde sie eine albtraumfreie Nacht verbringen. Und morgen konnte sie den Kollegen angemessen begegnen, ohne sich von einem Sackgesicht wie Ture Hansen oder Rambacher aus der Fassung bringen zu lassen.
Donnerstag, 29. September
Paula kam gerade rechtzeitig in der Dienststelle an, um nicht zu spät zur Besprechung zu erscheinen. Sie hatte keine Zeit mehr, vorher noch in ihr Büro zu gehen und ihre Sachen abzulegen, sondern lief gleich zum Besprechungsraum. Mit einem kleinen Abstecher in die Kaffeeküche, vor der sie beinahe mit Rambacher zusammenstieß.
Er fasste seinen Kaffeebecher mit beiden Händen, damit er nichts verschüttete. »Guten Morgen, Frau Rauwolf.« Das klang sehr reserviert.
»’o’n.«
Paula überließ es ihm, daraus einen Gruß zu interpretieren. Sie hatte miserabel geschlafen, auch ohne Albtraum, und war mit Migräne aufgewacht. Trotz der Tabletten, die sie unverzüglich geschluckt hatte, hielt sie sich hartnäckig. Migräne machte sie übellaunig und reizbar. In so einem Zustand störte sie die sprichwörtliche Fliege an der Wand.
Sie schenkte sich ebenfalls einen Becher Kaffee ein und setzte ihren Weg zum Besprechungszimmer fort. Als sie eintrat, waren fast alle schon da und saßen auf ihren bevorzugten Plätzen. Oliver Siebert von der Abteilung Zuhälterei kam als Letzter.
Roemer grüßte in die Runde und fasste danach die bisherigen Ergebnisse für Siebert kurz zusammen. »Vor allem brauchen wir ein Motiv für die Tat«, schloss er und blickte erwartungsvoll in die Runde.
»Haben wir wenigstens diesmal was, mit dem wir unserm Spezi Severin am Zeug flicken können?«, hoffte Siebert.
»Leider nein«, antwortete Paula und rieb sich die rechte Schläfe, hinter der eine Horde Zwerge im Takt ihres Pulsschlags eine ganze Batterie von Ambossen zu bearbeiten schien. »Wir haben den Arbeitsvertrag der Toten gefunden, der sexuelle Dienstleistungen im Rahmen des Begleitservices strikt ausschließt. Wenn wir nicht noch irgendwelche anderen Belege finden oder jemand von Severins Leuten plaudert, haben wir mal wieder gar nichts in der Richtung. Mir scheint allerdings mit dem Hintergrund der Frau was nicht zu stimmen. Zumindest gibt es da einige Auffälligkeiten, die ich mir gern noch näher ansehen würde.«
»Die sind?«
»Sie hat angeblich Musik studiert. Aber in der ganzen Wohnung gab es kein Musikinstrument, keine Noten, keine Fachliteratur. Nicht mal ein einziges Buch über Musik, abgesehen von einem Lexikon. Selbst wenn sie die Musik völlig aufgegeben hätte, ist das ungewöhnlich. Möglich, dass das nichts
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