Smaragdjungfer
sîm.« Nur eine Höflichkeitsfloskel, denn es ging Paula seit Christophers Tod nicht gut.
Ileana brachte ihr unaufgefordert einen Caipimara , Paulas Lieblingscocktail, der aus Cachaça, Maracujasaft, frischem Limettensaft und Rohrzucker gemixt wurde. Eigentlich sollte sie bei der Migräne, die sich in ihrem Kopf anbahnte, keinen Alkohol trinken. Aber die Menge, die im Caipimara enthalten war, würde ihr nicht schaden. Sicherheitshalber bestellte sie sich noch einen Café americano in Jumbogröße dazu.
Ileana tauschte erst mal ein paar höfliche Belanglosigkeiten mit ihr aus. Sie zu sehen, war für Paula immer ein Highlight. Sie beide verband eine gemeinsame Geschichte, die bis in ihre Kindheit zurückreichte, als Ileana Katic als neue Schülerin in die Grundschule gekommen war.
Vor fünfundzwanzig Jahren hatte es noch kein Bestreben nach political correctness gegeben. Die Klassenlehrerin hatte Ileana deshalb unumwunden als Zigeunerin vorgestellt, mit einem abfälligen Tonfall, der keinen Zweifel daran ließ, was sie davon hielt, »so eine« in ihrer Klasse zu haben. Dass sie ihr den freien Platz an Paulas Seite zugewiesen hatte, war für beide ein Glücksfall gewesen. Wenn die anderen zu sehr auf Ileana herumhackten, verteidigte Paula sie buchstäblich mit Händen und Füßen. Ileana sprang ihr bei, sodass zu Beginn fast kein Tag verging, an dem sich die beiden Mädchen nicht mit irgendwem prügelten. Erst Ileanas drei ältere Brüder sorgten dafür, dass es sich jeder dreimal überlegte, Ileana oder Paula zu drangsalieren.
Ihre Freundschaft hatte alle Anfeindungen überdauert. Niemand hatte sie auseinander bringen können. Auch nicht Paulas Mutter, die ihr den Umgang mit »diesem Zigeunergesindel« strikt verbot, das einen so schlechten Einfluss auf die Tochter ausübte, dass diese zu einer an der ganzen Schule gefürchteten Schlägerin mutiert war. Ileana aber war und blieb Paulas Freundin, denn Freunde lässt man nicht einfach im Stich, erst recht nicht, wenn die ganze Welt gegen sie steht.
Durch diese unverbrüchliche Loyalität wurde Paula schließlich als einzige Gadschi in Ileanas Familie integriert. Dort hatte sie nicht nur zum ersten Mal erfahren, was Familienzusammengehörigkeit bedeuten konnte – in ihrer eigenen Familie sah es da ganz anders aus. Hier hatte sie auch den Jazz kennengelernt, denn die Liebe zu dieser Musik hatte Tradition in ihrer Wahlfamilie. Ileanas Vater hatte ihr das Gitarrespielen beigebracht, und auf dem Saxofon ihres Onkels hatte sie die ersten Töne geblasen. Und ganz nebenbei Romanes sprechen gelernt.
Obwohl Paula sich später für die Laufbahn bei der Polizei entschieden hatte, der Institution, die von den Roma traditionell am meisten gehasst und gefürchtet wird, hatte das ihrer Freundschaft keinen Abbruch getan. Für die Katics gehörte sie immer noch zur Familie, weshalb Ileana sie vorhin mit »mi phen« – meine Schwester – begrüßt hatte.
Nachdem sie genug Klatsch ausgetauscht hatten und Paula ihren Americano schlürfte, kam sie auf das zu sprechen, was sie hergeführt hatte. »Sag mal, Ileana, kennst du eine Jasmin Stojanovic?«
»Wer soll das sein?«
»Eine Romni, die wir heute Morgen tot aufgefunden haben. Ich will ihre Familie benachrichtigen. Sie scheint aber keine lebenden Verwandten zu haben, die im System der Staatsmacht auftauchen.«
Sie sagte das mit einem leicht verächtlichen Unterton. Nicht ohne Grund, denn trotz umfassender Meldepflicht und bürokratischer Registrierung von der Wiege bis zur Bahre gab es gerade bei den Roma und Sinti Verwandtschaftsverhältnisse, die ihnen so viel wie oder sogar mehr bedeuteten als leibliche Verwandtschaft. Nach den Gesetzen und Vorschriften der Gadsche wurden die aber nicht als solche erkannt, geschweige denn anerkannt. Ein blutsfremder Patenonkel galt nach deutschem Recht als nicht verwandt, für die Roma dagegen war er ein Onkel und Bruder wie jeder Blutsverwandte, mit den gleichen Rechten und Pflichten innerhalb der Familie.
»Nie von ihr gehört. Sie muss erst kürzlich hergezogen sein.«
»Nach unseren Informationen wohnt sie schon seit über einem Jahr in der Stadt. Sie stammt aus Belgrad.«
Ileana schüttelte den Kopf. »Vielleicht gehört sie zu denen, die sich so sehr von ihrem Volk losgesagt haben, dass sie mit keinem von uns mehr Kontakt haben wollen und alles tun, damit man sie nicht als Roma erkennt.« Sie verzog das Gesicht. »Neulich hat sich hier eine von uns beworben und sich als Türkin
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