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Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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Großeltern namens Kolomna. Rasch möchte ich dieses Viertel für die Leserschaft skizzieren. Die windgepeitschte Fontanka, die Silhouette der schiefen und krummen Häuser aus dem 19. Jahrhundert mit dem hineingetriebenen apokalyptischen Keil des »Sowjetskaja Hotels«, das Hotel umgeben von symmetrischen Reihen vergilbender, voll Wasser gesogener Wohnblocks; die Wohnblocks wiederum umgeben von Wellblechhütten, die in bunter Mischung ein Kaufhaus für CD -Raubkopien beherbergen, das improvisierte »Mississippi Casino« (»Amerika ist ganz weit weg, das Mississippi bloß ums Eck«), einen Kiosk für Krabbensalat in Großküchencontainern und die unvermeidliche syrische Schawarma-Bude mit ihrem typischen Geruch nach verschüttetem Wodka, verdorbenem Kohl und irgendwie frei flottierender Unmenschlichkeit.
    »Genau das hab ich gemeint«, sagte Rouenna, als sie sich umsah und alles in sich aufsog. »South Bronx. Fort Apache. Morrisania. Der Hammer, Mischa. Und das hier sind echt bloß Durchschnittstypen?«
    »Denke schon«, sagte ich. »Ich rede eigentlich nicht viel mit gewöhnlichen Menschen. Die halten mich für so eine Art Missgeburt. Wenn ich mich in New York in die U-Bahn setze und die Macker sehen, wie groß ich bin, dann ist die Sache geregelt.«
    »Weil du wie ein Rap-Star aussiehst«, sagte Rouenna und gab mir einen Kuss.
    »Weil ich ein Rap-Star
bin
«, sagte ich und leckte ihr die Lippen.
    »Bitte bemühen Sie sich um kultiviertes Benehmen«, spuckte eine alte
babuschka
uns an.
     
     
    Gewaltsamer Tod war für Rouenna nichts Neues, und als Papa auf der Palastbrücke in Stücke gerissen wurde, blieb sie ganz cool und passte auf, dass ich nicht in Melancholie versank. »Du musst dich da knusper, knisper, knasper wieder rausholen«, sagte sie zu mir, wobei sie mich mit Gewalt am Kinn hielt und mit den Fingern der anderen Hand schnipste.
    »Wie die amerikanischen Rice Crispies«, sagte ich lachend. »Knusper! Knisper! Knasper!«
    »Was habe ich gesagt? Hast du deinen Analytie-dütie angerufen?«
    »Ist den ganzen Monat auf einer Psychiaterkonferenz in Rio.«
    »Also, wofür bezahlst du das Arschloch überhaupt? Na gut, du alter Sack. Dann muss ich es dir eben selber besorgen. Hosen runter. Zeig mir mal, was du Mami mitgebracht hast.«
    Ich schälte mich aus meinem Puma-Jogginganzug und ließ rasch alles herausfallen. Ich bettete mich auf die Mies-van-der-Rohe-Liege und nahm mühevoll die analytische Haltung ein. Weil mein Nacken so fett ist, leide ich an einer schrecklichen Schlafapnoe – ich schnarche grässlich laut und muss dauernd nach Luft schnappen. Auf dem Rücken wird es schlimmer, also wuchtet Rouenna mich mit einem ihrer muskulösen Schenkel instinktiv auf die Seite, wenn sie neben mir liegt, und ich vollführe mit meinem Fett instinktiv einen halben Rittberger. Eine Nachtsichtkamera würde wahrscheinlich eine Art postmodernes Unterwasserballett aufzeichnen.
    »Rumdrehen«, befahl Rouenna. Ich legte mich auf den Bauch. »Braver Junge.«
    Sie legte ihre Hände auf das, was ich meinen »Gifthümpel« nenne, einen flüssig schwarzen Berg aus abgeschobenem Fleisch und schlechter Durchblutung, ein Denkmal meiner Trägheit, gewachsen in den zwei Jahren meines russischen Exils, Zwischenlager meines gesammelten Zorns, eine Art Anti-Herz in meinem Rücken, das mir die Trauer durch den Körper pumpt. Als Rouenna den verhärteten Klumpen mit kräftigen Fingern zu kneten und zu formen begann, zwitscherte ich vor Demut und Glück: »Oh, Rowie. Verlass mich nicht. Oh, Rowie. Oh, Liebes. Bleib bei mir.«
    Die Trauer wurde aus meinem Gifthümpel geschwemmt und überflutete noch die abgelegensten Venen, in meinem Körper versenkt wie Telefonkabel im Atlantik. Ich sah das tränenüberströmte Gesicht meiner Mutter vor mir, nachdem sie mich eines Sommers auf dem Bahnhof von Jalta verloren und gedacht hatte, die bösen Zigeuner hätten mich geschnappt und aufgefressen. »Ich hätte mich umgebracht, wenn dir etwas passiert wäre«, rief Mami. »Ich hätte mich am Schwalbennest von den Klippen gestürzt.« Natürlich hat meine Mutter mich dauernd angelogen, so wie Mütter es in zerrütteten Gesellschaften tun, um den Kindern unnötiges Leid zu ersparen. Aber in diesem Augenblick wusste ich, dass sie die Wahrheit sagte. Sie hätte sich wirklich umgebracht. Ihr Leben hing von meinem ab. Mit meinen neun Jahren sah ich in einer kurzen Erscheinung den Tod meiner Eltern voraus – Krebsstation, Feuerball – und vergrub mein

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