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Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise
Autoren: Gary Shteyngart
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Papa
eingeladen
worden waren. Nachdem Aljoscha-Bob ihn davon überzeugt hatte, dass ich in Europa unmöglich mit weniger als 35 Millionen überleben konnte, hatte Hauptmann Belugin sie zum Zeichen unserer zart knospenden Wiederannäherung mitgeschleppt. Und da schlenderten der bleiche, hagere Oleg der Elch und sein rosiger, in die Breite gehender Vetter – von der Gestalt her an Don Quichotte und Sancho Pansa gemahnend – auch schon auf mich zu, um mir ihr Beileid zu bekunden, meine dämlichen Verwandten öffneten ihnen schweigend eine Gasse, eingeschüchtert von ihrem Mordseifer, von der Tatsache, dass Oleg und Zohra tatsächlich Boris Vainberg angetan hatten, was all seine Verwandten auch schon immer gern getan hätten.
    Ich wich zurück, griff mit meinen beiden großen Patschhänden nach einem vorbeifliegenden Bonbonpapier, aber sie hatten mich rasch eingeholt. »Dein Vater war ein großer Mann«, sagte Oleg der Elch und kämmte nervös seine Schmalztolle zurück, sein Markenzeichen, dasEinender-Geweih. »Ein rechtschaffener Mann. Eine Führungspersönlichkeit. Er hat sein Volk geliebt. Ich habe noch immer den Artikel aus der amerikanischen Zeitschrift über ihn, von 1989, wo er mit einem Eimer Schwarzgebrannten herumtanzt. Wie war noch die Überschrift?
Schabbat Schalom in Leningrad
. Du weißt, wir hatten es nicht immer leicht miteinander, aber bis zum Schluss waren all unsere Meinungsverschiedenheiten nur Streit unter Brüdern. Ich glaube, dass wir irgendwie alle die Verantwortung für seinen Tod tragen. Und so werden Zohra und ich der Synagoge jeder 100 schutkas geben. Vielleicht können sie sich davon ein paar Reserve-Thoras kaufen oder so. Wir nennen es den ›Boris Vainberg Judaica Renaissance Fonds‹.«
    Ein
schutka
war ein
Ding
, entsprach 1000 US -Dollar; die Grundmaßeinheit im Universum meines Papas. 100 schutka waren nicht sehr viel, eine Woche Herumhuren an der Riviera. Ich senkte den Blick auf meine deutschen Schuhe, beide von einem schillernden Schmutzfilm bedeckt. Scheiße, was war das? Wahrscheinlich die verkackten Polymere vom Bahnhof. Auf der Stelle gelobte ich eine Spende von mindestens 1000
schutkas
, $ 1.000.000,00, für »Mischas Kinder«.
    »Weißt du was, wir machen jeder 200
schutkas
draus«, sagte der syphilitische Zohra und fingerte hartnäckig an einem seiner Weisheitszähne herum. Er sah genau so aus wie das kahle Stachelschwein aus Tschernobyl, über das sie sich im Fernsehen lustig machten. »Der Kantor in der Synagoge braucht einen neuen Schrein. Wo sie die Thoras wegschließen, wenn sie mit dem Vorsingen fertig sind.«
    Da stand ich und hörte den Mördern meines Vaters zu. Oleg und Zhora stammten aus Papas Generation. Alle drei hatten ihre Väter im Großen Vaterländischen Krieg verloren. Alle drei waren von Männern aufgezogen worden, die sich vor dem Kampf gedrückt hatten, gewalttätigen, finsteren Männern zweiter Wahl, die ihre Mütter in grausamer Einsamkeit mit nach Hause gebracht hatten. Wie ich da so vor dem Mannsvolk aus der Generation meines Vaters stand, konnte ich nichts machen. Ich konnte nur vor ihren rauen Händen und ihrem schalen Wodka- und Zigarettengeruch schaudern und neben Furcht und Ekel Milde und Komplizenschaft empfinden. Diese Missgeburten regierten unser Land. Man musste viele Rollen spielen, um in ihrer Welt zuüberleben – Täter, Opfer, stummer Zeuge. Ich konnte von allem ein wenig.
    »Was macht die Gesundheit?«, fragte ich den syphilitischen Zhora.
    Er beschrieb mit den Fingern einen Kreis um seinen Schritt. »Ach, weißt du, mal so, mal so. Immer mal was Neues. Man muss es nur rechtzeitig behandeln. Am Moskowskij Prospekt gibt es eine neue Klinik für Geschlechtskrankheiten –«
    »Wenn du nicht enden willst wie Zhora, zieh dir lieber einen Strumpf über dein Gürkchen«, sagte Oleg der Elch voll väterlicher Sorge. Wir lachten still. »Übrigens, wie steht es mit deinem Visum?«, fragte er. »Jetzt, wo dein Vater tot ist, hast du es auf dem amerikanischen Konsulat sicher leichter. Noch in der schlimmsten Tragödie findet man oft etwas Gutes.«
    »Ach, falls du mal nach Washington kommst, sag meinem Sohn, er soll aufhören, spanische Mädchen zu rammeln, und endlich studieren«, sagte Zhora. »Warte mal! Ich gebe dir seine E-Mail-Adresse an der Uni.« Er reichte mir einen Fetzen Papier, auf den er mit geschwungenen kyrillischen Lettern gekritzelt hatte: [email protected]. »Und sag ihm, fürs Jurastudium soll er es nicht unter Michigan
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