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Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise
Autoren: Gary Shteyngart
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machen, der kleine
popka

    Wieder lachten wir, und der prickelnde Stromschlag der Verbrüderung durchzuckte unser Triumvirat, was mich ein wenig erschreckte. »Kennt ihr den mit den drei Juden –«, setzte ich gerade an, als mich ein steifes, provinzielles Kreischen unterbrach.
    »Mörder! Monster! Schweine!«, kreischte Ljuba am offenen Grab. »Ihr habt mir meinen Boris genommen! Ihr habt mir meinen Märchenprinzen genommen!«
    Ehe wir uns versahen, stürmte sie schon auf Oleg und seinen Vetter los, wild schlugen die Windmühlenflügel ihrer dünnen Ärmchen eine Gasse durch die großen, dicken Vainberg-Patriarchen und das Fußvolk mit seinen orangenen Dauerwellen und ledernen Gürteltaschen. Feuerrot und tränenstreifig, mit den zarten rosa Lippen eines Kindes, wirkte Ljubas Gesicht ungewöhnlich jung, so jung, dass ich unwillkürlich eine Hand nach ihr ausstreckte, denn Jugendlichkeit dieser Art überlebt in unserem Leninsburg nicht lange; sie wird ausgebrannt wiedie bösen orangenen Sommersprossen, die einst ihr Näschen umringt hatten.
    »Ljuba!«, rief ich.
    Hauptmann Belugin handelte schnell, barg die arme Witwe unter seinem Blazer und führte sie sanft von der Menge fort, auf die Eisenbahnschienen und die umgekippten Polymer-Waggons zu. Über ihrem Weinen sang er beruhigende Mantras (»Das ist ganz normal … Das sind bloß die Nerven«), aber ihre letzten gedämpften Worte konnte ich trotzdem hören: »Mischka, hilf mir! Hilf mir, sie mit bloßen Händen zu erwürgen!«
    Ich wandte mich ab und sah stattdessen zu Sarah hinüber, der schönen Jüdin, der Zierde unseres Volkes, die uns ihr trauriges Lächeln darbot und auch etwas Weiches und Blasses und Blühendes in den Händen trug. Gardenien.
    Und schon war es Zeit geworden, Papa zu begraben.

7
    Rouenna in Russland/Ghetto Daze, Teil II
     
    Ich bin doch nicht in dieses abgewichste Russland gekommen, um mir irgendwelche öligen Gemälde anzugucken, Snack«, erklärte Rouenna. Wir standen in der Eremitage vor Pissarros »Boulevard Montmartre«. Rouenna flog am nächsten Tag zurück, und ich hatte gedacht, sie würde vielleicht gern das unvergleichliche kulturelle Erbe unserer Stadt in Augenschein nehmen.
    »Du willst dir keine öligen …?«, stammelte ich. Fünf Jahre der Liebe hatten wir in New York miteinander verbracht, und noch immer machten ihre Launen mich sprachlos, ihren Verstand aber dachte ich mir wie eine herrliche reife, von einem sommerlichen Unwetter hin und her geworfene Sonnenblume. »Der Impressionismus des späten 19. Jahrhunderts sagt dir nicht zu?«, fragte ich.
    »Ich bin doch deinetwegen hier, du Dödel«, gab sie zurück.
    Wir küssten einander: 147 Kilo in einem klassischen Puma-Jogginganzug und eine braunhäutige Frau mit einem Push-up- BH . Ich konnte hören, wie es in den
babuschka
-Wachen vor rassistischer und ästhetischer Entrüstung knisterte, aber das ließ mich Rouenna nur noch fester küssen, während ich ihr mit meiner großen Patschhand das Hohlkreuz herab und zwischen die festen Arschbacken fuhr.
    Es ertönte ein von Auswurf und Leid erfülltes Husten. »Bitte bemühen Sie sich um kultiviertes Benehmen«, wies uns eine alte Stimme zurecht.
    »Hat die Schlampe was gesagt?«, fragte Rouenna.
    »Die Alten werden uns nie verstehen«, seufzte ich. »Den Russen werden wir ein Rätsel bleiben.«
    »Ab durch die Mitte, Snack?«
    »Ab durch die Mitte.«
    »Nach Hause, kuscheln.«
    »Ganz genau, Kleiner.« In den zwei Wochen ihres Aufenthalts hatte ich versucht, Rouenna ein Bild vom Leben im St. Leninsburg des Jahres 2001 zu vermitteln. Ich hatte uns ein Motorboot und einen Kapitän gekauft und ihr die Haupt- und Seitenkanäle unseres Venedigs des Nordens gezeigt. An ein paar der prächtigeren Paläste, deren verblassende Pastelltöne besser nach South Beach passen würden als an den Südrand des Polarkreises, hatte sie »oooh« und »boah« und »aber hallo« gemacht. Aber wie die meisten armen Menschen war sie im Grunde ihres Herzens weniger Touristin als Ökonomin und Anthropologin. »Wo sind denn die
niggaz
?«, wollte sie wissen.
    Sie meinte Menschen von bescheidenem Auskommen, nahm ich an. »Überall«, sagte ich.
    »Aber wo sind die
echten niggaz

    An den äußersten Stadtrand, wo die Menschen, wie ich hörte, praktisch von Regenwasser und selbst gezogenen Kartoffeln lebten, mochte ich sie nicht bringen. Also nahm ich sie mit an die unteren Ausläufer der Fontanka, in das alte Wohn- und Industriegebiet unserer
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