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Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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Wuppdich eines der noch jungen Menschen erhob sie sich auf ihre stummeligen Zehenspitzen, nahm mich bei den Ohren und
zeigte
es mir.

8
    Nur Therapie kann Vainberg jetzt noch retten
     
    Die ersten zwei Wochen nach Rouennas Abreise verbrachte ich auf meiner Mies-van-der-Rohe-Liege und wartete still auf Dr. Levines Rückkehr von seiner Konferenz in Rio de Janeiro. Eines Nachmittags, als plante ich meine Rache für Rouennas mögliche Amour fou mit dem bösen Jerry Shteynfarb, köderte ich zwei asiatische Studentinnen, die eine Tür-zu-Tür-Befragung vornahmen, und brachte beide dazu, je fünf Minuten auf mir zu reiten. Sie kamen aus irgendeiner gottverlassenen Eskimoprovinz, rochen aber schon ganz russisch nach Dill und Schweiß. Wenn das nicht multikulti ist! Selbst unsere Asiatinnen sind russisch. Das Umfrageformular war noch schockierender. Offenbar lebten wir inzwischen in einem Land namens »Russische Föderation«.
    Es wurde Juli, und schon nahte der zweite Jahrestag meiner russischen Kerkerhaft. Zwei Jahre? Wie hatte das geschehen können? Im Juli 1999 war ich angekommen, offiziell, um meinen Vater zu besuchen, nicht wissend, dass er gerade den Mord an einem Geschäftsmann aus Oklahoma plante, der zehn Prozent an einer Sumpfbiberzucht besaß. Schon als ich mein Flugticket kaufte, ahnte ich, dass ich New York nicht so bald wiedersehen würde.
    Wissen Sie, Russen geht es oft so. Die Sowjetunion ist verschwunden, die Grenzen sind offener und durchlässiger denn je. Und doch, wenn man zwischen den beiden Universen hin und her reist, tut man es noch immer mit einem Gefühl der Endgültigkeit, weil es logisch betrachtet unmöglich zu sein scheint, dass neben der zivilisierten Welt so etwas wie Russland existiert, dass Ann Arbor, Michigan, unter demselben Himmelszelt ruht wie zum Beispiel Wladiwostok. Es ist wie mit den mathematischen Gesetzen, die ich schon in der Oberschule nie verstanden habe:
wenn, dann. Wenn
Russland existiert,
dann
ist der Westen eine Fata Morgana;
wenn
umgekehrt Russland
nicht
existiert,
dann
und
nur dann
kann der Westen real und fassbar sein. Kein Wunder, dass junge Menschen sagen, sie wollten »rübermachen«, wenn sie vom Auswandern reden, als wäre Russland von einem großen Quarantänezaun umgeben. Entweder bleibst du in der Leprakolonie, oder du schaffst es in die weite Welt hinaus und versuchst wenigstens, die anderen anzustecken.
    Ich kann mich noch genau an meine Rückkehr erinnern. Ein regnerischer Sommertag. Der Austrian-Airlines-Flieger legte sich in eine Linkskurve, und durch das Bullauge erhaschte ich nach fast zehn Jahren in den Staaten den ersten Blick auf meine Heimat.
    Um es ganz klar zu sagen: Eine Seite hat den kalten Krieg gewonnen und die andere hat ihn verloren. Und wie immer in der Geschichte wurden die Ländereien und Goldschätze der Verlierer geplündert, ihre Männer versklavt und in ferne Hauptstädte entführt, ihre Frauen in die Armee der Sieger einberufen. Aus meinem Flugzeugfenster konnte ich die Spuren der Verwüstung klar erkennen. Den Winden ausgesetzte, verlassene Vorstadtacker. Die graue Ruine einer von namenlosen Mächten entzweigerissenen Fabrik, deren Schornstein gefährlich schief stand. Ein Rund aus Siebzigerjahre-Wohnblöcken, die sich dem kreisrunden Hof in ihrer Mitte zuneigten wie alte Männer im Gespräch.
    Vernichtet sahen die mit Kalaschnikows behängten Jungen aus, die den verfallenen Auslandsterminal schützten, offenbar vor den reichen Passagieren unseres Austrian-Airlines-Fluges. Vernichtet die Passkontrolle. Vernichtet der Zoll. Vernichtet die traurigen Männer in ihren verbeulten Ladas, die auf der Abholerspur darum bettelten, uns für hartes Geld in die Stadt karren zu dürfen. Auf dem Gesicht des Geliebten Herrn Papa jedoch, dörrpflaumentrocken, seltsam nüchtern, von einem falschen familienväterlichen Glanz erfüllt, lag ein Hauch von Triumph. Er kitzelte mir den Bauch und riss einen männlichen Scherz über meinen
chuj
. Stolz wies er auf die Armada aus Mercedes-Limousinen, die bereitstand, uns in sein viergeschossiges
kottedsch
am FinnischenMeerbusen zu bringen. »Nicht schlecht, diese neuen Zeiten«, sagte er mir. »Wie eine Geschichte von Isaak Babel, nur nicht so komisch.«
    Für seine Umtriebe als zionistischer Dissident Mitte der Achtziger (insbesondere dafür, dass er die antisemitische Töle unseres Nachbarn entführt und vor dem KGB -Hauptquartier von Leningrad angepinkelt hatte) musste mein Vater zwei Jahre lang in den Bau.

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