Sniper
die Fersen eines Frachters namens So San . Von da an hatten wir das nordkoreanische Schiff im wahrsten Sinne des Wortes im Visier.
Der 3500-Tonnen-Frachter hatte eine interessante Vergangenheit und war bekannt dafür, Güter von und nach Nordkorea zu transportieren. Es ging das Gerücht um, dass das Schiff chemische Stoffe geladen hatte, die verwendet werden konnten, um Giftgas herzustellen. In diesem speziellen Fall führte die So San offiziell Zement mit sich.
Tatsächlich transportierte sie allerdings Scud-Raketen – ballistische Boden-Boden-Raketen.
Noch während die Bush-Regierung überlegte, wie mit ihr zu verfahren sei, wurde die So San in der Nähe des Horns von Afrika gesichtet. Schließlich befahl der Präsident, das Schiff zu entern und zu durchsuchen: Das war genau die Art von Auftrag, für die wir SEALs ausgebildet sind.
Es gab einen weiteren SEAL-Zug in Djibouti, der dem Schiff wesentlich näher war als wir. Aber aufgrund der Befehlskette und der Zuordnung der Aufgaben – die Einheit arbeitete für die Marines, während wir dem Navy-Kommando direkt unterstanden – erhielten wir den Auftrag, uns den Frachter vorzuknöpfen. Sie können sich sicher vorstellen, wie sehr sich die Kameraden vom anderen Zug darüber freuten, uns zu sehen, als wir in Djibouti eintrafen. Wir hatten ihnen nicht nur einen Auftrag vor der Nase weggeschnappt, sie hatten auch noch die undankbare Aufgabe, uns beim Ausladen und den anfallenden Vorbereitungen zu helfen.
Sobald ich das Flugzeug verlassen hatte, entdeckte ich einen Kameraden.
»Hey!«, rief ich.
»Verpiss dich«, antwortete er.
»Was ist denn los?«
»Verpiss dich.«
So viel zum Thema herzliche Begrüßung. Ich machte ihm jedoch keinen Vorwurf; an seiner Stelle wäre ich genauso verärgert gewesen. Aber mit der Zeit wurden er und die anderen etwas kooperativer – letzten Endes waren sie ja nicht auf uns wütend, sondern auf die Situation. Zähneknirschend halfen sie uns bei unseren Vorbereitungen für die Mission und verfrachteten uns schließlich in einen Versorgungshubschrauber, der uns zur USS Nassau brachte, einem Amphibienschiff, das sich gerade im Indischen Ozean befand.
Amphibien, wie sie kurz genannt werden, sind große Angriffsschiffe, die Einheiten und Hubschrauber transportieren, ab und zu auch Senkrechtstarter. Sie sehen wie altmodische Flugzeugträger aus und besitzen ein langes, gerades Flugdeck. Sie sind recht groß und verfügen über Befehls- und Überwachungseinrichtungen, die im Rahmen von Angriffseinsätzen als Planungs- und Kommando-Stützpunkte verwendet werden können.
Je nach Zielobjekt und den äußeren Umständen gibt es verschiedene Möglichkeiten, ein Schiff zu entern. Theoretisch hätten wir Hubschrauber benutzen können, um auf die So San zu gelangen, allerdings wussten wir, dass das Deck mit Drähten bespannt war, die wir vor einer Landung erst hätten entfernen müssen, was wiederum Zeit gekostet hätte.
Uns war bewusst, dass wir das Überraschungsmoment verlieren würden, wenn wir mit Hubschraubern anrückten, deshalb entschieden wir uns für die RHIBs. Wir begannen zunächst mit Enterübungen, die wir neben der Nassau mit Booten absolvierten, die uns eine Special Boat Unit herbeigeschafft hatte. (Special Boat Units sind für die SEALs so etwas wie ein Taxiservice. Sie sind für die RHIBs, Mk-Vs und die anderen Fahrzeuge verantwortlich, mit denen SEALs operieren. Außerdem verfügen diese Einheiten auch über die Ausrüstung und Ausbildung, um ins Kampfgeschehen einzugreifen – und so trotzen sie schon einmal feindlichem Beschuss, um SEALs an ihren Einsatzort zu bringen oder auch wieder heraus.)
Die So San fuhr in der Zwischenzeit weiter auf uns zu. Als sie langsam in unsere Reichweite kam, hatten wir alle Vorkehrungen für unseren Einsatz getroffen. Aber bevor wir in die Boote steigen konnten, erhielten wir einen Anruf, der uns anwies, vorerst in Bereitschaft zu bleiben – die Spanier waren uns zuvorgekommen.
Wie bitte?
Die spanische Fregatte Navarra hatte die So San angehalten, die auffällig unauffällig ohne Flagge und mit verdecktem Namenszug unterwegs war, womit sie sich erst recht verdächtig gemacht hatte. Laut späterer Berichte enterten spanische Sondereinsatzkräfte den Frachter, nachdem dieser den Befehlen der Fregatte nicht Folge geleistet und nicht angehalten hatte. Sie benutzten natürlich Hubschrauber, so wie wir es befürchtet hatten, und brauchten eine gewisse Zeit, um die Drähte zu zerschießen. Es
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