Sniper
wird gemunkelt, dass diese Verzögerung dem Kapitän des Schiffes die Möglichkeit gab, kompromittierende Unterlagen und andere Beweise zu vernichten, zumindest nehme ich das stark an.
Hinter den Kulissen gingen offenkundig viele Dinge vor sich, von denen wir keine Ahnung hatten.
Uns war das aber auch egal.
Allerdings wurde unser Auftrag nun zügig geändert. Statt das Schiff einer üblichen Durchsuchung zu unterziehen, sollten wir es entern, sichern – und die Scud-Raketen finden.
Man kann sich kaum vorstellen, dass sich Raketen so mir nichts, dir nichts verstecken lassen. Aber sie waren tatsächlich unauffindbar. Der Frachtraum des Schiffs enthielt augenscheinlich nichts als Zement – verpackt in 35-Kilogramm-Säcken. Es müssen Hunderttausende gewesen sein.
Die Scuds konnten nur an einem Ort sein: unter dem Zement. Also fingen wir an, Sack für Sack beiseitezuschaffen. Wir benötigten dafür 24 Stunden, in denen wir pausenlos Säcke hin- und herbewegten. Ich alleine muss Tausende getragen haben – und fühlte mich nach diesen schlaflosen 24 Stunden auch entsprechend. Überall war Zementstaub, Gott weiß, wie meine Lungen damals ausgesehen haben. Schließlich fanden wir unter den Zementsäcken die Transportbehälter.
Ich schnappte mir eine der Quickie Saws und machte mich an die Arbeit. Quickie Saws sehen aus wie eine Kreuzung aus Kreis- und Kettensäge und schneiden durch praktisch jedes beliebige Material, einschließlich Scud-Behälter.
Wir fanden insgesamt 15 Scud-Raketen. Ich hatte noch nie eine Scud-Rakete aus der Nähe gesehen und wenn ich ehrlich bin, fand ich sie ziemlich cool. Wir machten Fotos und riefen die Sprengstoffexperten herbei, die überprüfen sollten, ob sie noch intakt waren.
Zu jenem Zeitpunkt war der gesamte Zug zentimeterdick mit Zementstaub bedeckt. Einige der Jungs sprangen kurzerhand über Bord, um den Dreck loszuwerden. Ich nicht. Angesichts meiner Taucherfahrungen wollte ich kein Risiko eingehen. Bei dem vielen Zement konnte man schließlich nicht wissen, was geschah, wenn er mit Wasser in Berührung kam.
Schließlich übergaben wir die So San den Marines und kehrten auf die Nassau zurück. Die Befehlsleitung ließ uns wissen, dass wir abgezogen wurden und nach Kuwait zurückkehrten, und zwar »umgehend und auf dieselbe zweckdienliche Art, wie Sie dorthin gebracht wurden«, wie es im Marschbefehl so schön hieß.
Natürlich war das absoluter Blödsinn. Tatsächlich blieben wir zwei Wochen auf der Nassau . Aus irgendeinem Grund schaffte es die Navy nämlich nicht, einen der unzähligen Hubschrauber freizustellen, die auf dem Flugdeck herumstanden, um uns nach Djibouti zurückzubringen. Also spielten wir Videospiele, trainierten im Kraftraum und warteten ab. Und wir schliefen so viel wir konnten.
Leider war das einzige Videospiel, das wir dabei hatten, Madden Football . Im Laufe der Zeit wurde ich sogar richtig gut darin. Bis dahin hatte ich nichts mit Videospielen am Hut gehabt. Jetzt bin ich ein echter Profi – vor allem in Madden . Ich glaube, meine Frau verflucht bis heute jene zwei Wochen, die ich auf der Nassau verbrachte.
*
Eine letzte Anmerkung zu den Scuds: Die Raketen, die wir fanden, waren für den Jemen bestimmt gewesen. Zumindest behauptete der Jemen das. Es gab Gerüchte, dass sie zu einer Art Handel mit Libyen gehörten, wobei im Gegenzug der Jemen Saddam Hussein Asyl anbieten sollte, aber ich kann beim besten Willen nicht sagen, ob diese Gerüchte stimmten oder nicht. Jedenfalls wurden die Scuds freigegeben und in den Jemen gebracht, Saddam blieb im Irak und wir kehrten nach Kuwait zurück, um uns auf den Krieg vorzubereiten.
Weihnachten
In jenem Dezember feierte ich Heiligabend zum ersten Mal getrennt von meiner Familie – und das war äußerst deprimierend. Der Tag verstrich, ohne dass er besonders begangen wurde.
Ich erinnere mich aber an die Geschenke, die Tayas Familie in jenem Jahr verschickte: ferngesteuerte Hummer-Geländewagen.
Das waren kleine Spielzeugautos, mit denen man wunderbar in der Gegend herumflitzen konnte. Einige der Iraker, die auf unserem Stützpunkt arbeiteten, hatten so etwas offenbar noch nie gesehen. Wenn ich ein Fahrzeug auf sie zusteuerte, schrien sie auf und sprangen ängstlich zur Seite. Vielleicht dachten sie, dass es sich dabei um eine Art Fernlenkrakete handelte. Ihre spitzen Schreie und ihr hektisches Davonrennen brachten mich jedes Mal zum Lachen. Im Irak waren selbst solche kleinen Vergnügen Gold wert.
Manche
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