Sniper
den Trainingseinsatz besprachen, der am nächsten Tag stattfinden sollte. Dann wandte er sich zu mir.
»Hey, Frischling«, sagte er. »Hol das Bier und den Schnaps aus dem Bus und bring alles her.«
Ich machte mich auf den Weg.
Als ich wiederkam, hatten die anderen einen Stuhlkreis gebildet. Es war nur ein freier Stuhl in der Mitte übrig, und ich machte mir keine allzu großen Gedanken darüber, als ich Platz nahm.
»Gut, es läuft folgendermaßen ab«, sagte der Chief, der vorne an einem Whiteboard stand. »Der Einsatz simuliert einen Überfall. Das Ziel ist in der Mitte. Wir kreisen es ein.«
Das klingt nach keiner besonders guten Idee , dachte ich. Wenn wir aus jeder Richtung kommen, schießen wir uns selbst über den Haufen. Normalerweise erfolgen Angriffe in einer L-Formation, um genau dieses Problem zu vermeiden.
Ich sah den Chief an. Er sah mich an. Plötzlich wich sein ernster Ausdruck einem Grinsen.
Daraufhin stürmte der gesamte Zug auf mich los.
Eine Sekunde später lag ich am Boden. Sie fesselten mich an einen Stuhl und begannen mit einer Scheinverhandlung.
Ich war sehr überrascht, was man mir so alles zur Last legte. Zunächst wurde mir vorgeworfen, ich hätte durchblicken lassen, ich wolle mich zum Scharfschützen ausbilden lassen.
»Der Frischling ist undankbar!«, polterte der Ankläger. »Er will sich vor der Arbeit drücken. Er denkt, er wäre etwas Besseres.«
Ich versuchte zu widersprechen, aber der Richter – kein Geringerer als der Chief höchstpersönlich – wies meinen Einspruch rigoros ab. Ich wandte mich an meinen Strafverteidiger.
»Was erwarten Sie denn auch?«, sagte er. »Er hat ja allerhöchstens einen Baumschulabschluss.«
»Schuldig!«, sagte der Richter. »Nächster Anklagepunkt!«
»Euer Ehren, der Angeklagte ist respektlos«, sagte der Ankläger. »Er hat dem kommandierenden Offizier gegenüber geäußert, er solle sich verpissen.«
»Einspruch!«, sagte mein Anwalt. »Das hat er zum Zugführer gesagt.«
Der kommandierende Offizier ist der Leiter des gesamten SEAL-Teams; der Zugführer ist der Leiter des Zugs. Ein ziemlich großer Unterschied, normalerweise. Außer in diesem Fall.
»Schuldig! Nächster Anklagepunkt!«
Für jedes Vergehen, für das ich schuldig gesprochen wurde – und sie dachten sich wirklich eine Menge Vergehen aus – musste ich einen Longdrink Jack Daniels mit Cola trinken, gefolgt von einem Kurzen.
Ich war schon ziemlich betrunken, als wir zu den schweren Vergehen kamen. Irgendwann einmal zogen mich meine Kameraden aus und legten mir Eiswürfel auf die Unterhose. Etwas später war es dann so weit – ich hatte einen Filmriss und verlor das Bewusstsein.
Daraufhin besprühten mich meine Kameraden mit Bräunungscreme und malten mir zur Krönung mit einem dicken Filzstift Playboy-Logos auf Brust und Rücken. Also genau die Art von Körperschmuck, den man in den Flitterwochen seiner Frau zeigen will.
Irgendwann einmal begannen meine Kollegen offenbar, sich Sorgen um meinen Gesundheitszustand zu machen. Also fixierten sie mich splitterfasernackt auf einer Trage, trugen mich nach draußen und stellten mich senkrecht im Schnee auf. Sie ließen mich eine ganze Weile dort stehen, bis ich wieder bei Bewusstsein war. Mittlerweile zitterte ich so heftig wie ein Presslufthammer, sodass ich schon befürchtete, ich würde ein Loch in die gefrorene Erde hämmern und darin versinken. Sie gaben mir eine Infusion – die Kochsalzlösung hilft, den Alkohol aus dem Körper zu transportieren – und brachten mich schließlich, immer noch an die Trage gebunden, zurück ins Hotel.
Ich weiß nur noch, dass ich ein paar Treppenstufen hinaufgetragen wurde. Das müssen einige der Gäste mitbekommen haben, da meine Kameraden »Gehen Sie weiter, hier gibt’s nichts zu sehen!« brüllten, während sie mich in mein Zimmer brachten.
*
Taya wusch einen Großteil der Farbe und der Bunnys ab, als wir uns am nächsten Tag trafen. Aber es war immer noch genug davon unter meinem Hemd sichtbar, sodass ich während der Trauung mein Jackett lieber zugeknöpft ließ.
Zu jenem Zeitpunkt war die Schwellung in meinem Gesicht fast völlig verschwunden. Die Narbe an meiner Augenbraue (von einer freundschaftlichen Rangelei unter Teamkollegen einige Wochen zuvor) verheilte gut. Meine aufgeplatzte Lippe (die ich mir auf einer Übung zugezogen hatte) heilte ebenfalls ziemlich gut ab. Es ist wahrscheinlich nicht unbedingt der Traum einer jeden Braut, mit einem vollgesprühten, übel
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