Sniper
passiert.
»Die Leute reden nur über unwichtigen Dreck«, schimpfte er. »Wir kämpfen für unser Land und niemanden interessiert das.«
Chris war sehr enttäuscht gewesen, als der Krieg anfing. Er hatte in Kuwait im Fernsehen gesehen, wie negativ die Medien über die Streitkräfte berichteten. Er rief mich damals an. »Weißt du was? Wenn sie wirklich diese Meinung haben, dann können sie mich mal. Ich bin hier draußen, ich bin bereit, mein Leben zu opfern, und sie tun gar nichts.«
Ich konnte ihn davon überzeugen, dass viele Menschen in Gedanken bei der Truppe und speziell auch bei ihm waren. Er hatte mich, Freunde in San Diego und Texas und seine Familie.
Aber zu Hause fiel es ihm schwer, sich an den Alltag zu gewöhnen. Beim Aufwachen schlug er oft um sich. Er war schon immer etwas sprunghaft gewesen, aber nun gewöhnte ich es mir an, wenn ich nachts aufwachte und ins Bett zurückkehrte, mich vorsichtig zu nähern und zunächst seinen Namen zu flüstern. Ich musste sicherstellen, dass er wusste, wer sich ihm da näherte, da es sonst sein konnte, dass er reflexartig zuschlug.
Einmal wachte ich auf und stellte fest, dass er meinen Arm mit beiden Händen umklammert hielt. Eine Hand war auf dem Unterarm und eine knapp oberhalb des Ellenbogens. Er schlief tief und fest und schien drauf und dran, meinen Arm zu verdrehen oder gar zu brechen. Ich hielt so still wie möglich und sprach wiederholt seinen Namen aus, wobei ich jedes Mal lauter wurde, um ihn nicht zu erschrecken, da ich berechtigte Sorge um meinen Arm hatte. Schließlich wachte er auf und ließ los.
Es dauerte eine ganze Weile, bis wir uns einige neue Gewohnheiten angeeignet hatten, aber nach und nach passten wir uns an die neuen Umstände an.
Angst und Schrecken
Natürlich blieb ich bei den SEALs.
Wäre mein Vertrag zu dieser Zeit ohnehin bald ausgelaufen, hätte es allerdings gut sein können, dass ich ausgetreten wäre. Vielleicht wäre ich zu den Marines gegangen. Aber so kam das nicht infrage.
Außerdem hatte ich Anlass zur Hoffnung. Wenn das Team einen Auslandseinsatz hinter sich gebracht hat und nach Hause zurückkehrt, werden die Karten neu gemischt und ein neuer Führungsstab wird aufgestellt. Es bestand also Aussicht darauf, dass unsere neue Befehlsleitung besser als die vorige sein würde.
Ich sprach mit Taya und vertraute ihr an, wie genervt ich war. Sie sah das natürlich anders: Sie war einfach nur froh, dass ich noch lebte und heil nach Hause zurückgekehrt war. In der Zwischenzeit wurden die ranghohen Offiziere in der Navy befördert und zu ihrem maßgeblichen Beitrag zum laufenden Golfkrieg beglückwünscht. Sie bekamen den Ruhm.
Auf den Ruhm pfeife ich , dachte ich bei mir.
Sie heimsten einen zweifelhaften Ruhm ein, da sie selbst nicht gekämpft, sondern sich den ganzen Krieg über nur durch Feigheit ausgezeichnet hatten. Eine Feigheit, die zahlreiche Leben gekostet hatte, die wir hätten retten können, wenn man uns nur gelassen hätte. Aber so läuft es in der Politik: Eine Horde Bürohengste sitzt herum und klopft sich auf die Schulter, während andere ihren Kopf hinhalten müssen.
Ich machte es mir damals zur Gewohnheit, nach der Rückkehr von jedem Einsatz etwa eine Woche lang das Haus nicht zu verlassen. Ich blieb einfach zu Hause. Normalerweise bekamen wir nach dem Ausladen und Wegräumen unserer Ausrüstung etwa einen Monat frei. In der ersten dieser vier Wochen blieb ich mit Taya grundsätzlich zu Hause und schottete mich völlig von der Außenwelt ab. Erst danach begann ich damit, meine Familie und Freunde zu besuchen.
Interessanterweise hatte ich keine sogenannten Flashbacks, also lebhafte Tagträume, in denen man Kriegsereignisse erneut durchlebt. Ich wollte einfach nur für eine Weile alleine sein.
Ich erinnere mich, wie ich nach dem ersten Einsatz einmal so etwas Ähnliches wie einen Flashback hatte, obwohl er nur wenige Sekunden dauerte. Ich saß gerade in dem Zimmer in unserem Haus in Alpine, nahe San Diego, das wir als Büro benutzten. Und als Taya nach Hause kam, löste sie aus irgendeinem Grund versehentlich unsere Alarmanlage aus. Das Geräusch der Sirene erschreckte mich zu Tode. Mit einem Schlag war ich wieder in Kuwait. Blindlings suchte ich unter dem Schreibtisch Schutz, denn ich wähnte mich plötzlich inmitten eines Scud-Angriffs.
Mittlerweile lachen wir über diese Anekdote – aber in jenen Sekunden hatte ich große Angst, mehr noch als damals in Kuwait, als die Scuds tatsächlich über uns
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