Sniper
würde, die Häuser zu stürmen.
Im Laufe der letzten Tage hatten die Aufständischen aufgehört, sich offen ausgetragene Feuergefechte mit uns zu liefern. Dementsprechend nahm die Anzahl der Todesschüsse, die wir als Sicherungsposten abgeben konnten, deutlich ab. Die Schurken blieben in den Häusern, weil sie wussten, dass wir sie erschießen würden, sobald sie vor die Tür traten.
Aber sie hatten deshalb keineswegs aufgegeben. Sie hatten sich vielmehr in den Häusern verschanzt und fielen in kleinen Zimmern und Fluren über die Marines her, die die Gebäude durchsuchten. Mehr oder weniger tatenlos musste ich zusehen, wie viele unserer Leute herausgetragen und medizinisch versorgt wurden.
Ich hatte schon eine Weile mit dem Gedanken gespielt, ein bisschen im Häuserkampf mitzumischen, bis ich schließlich den Entschluss fasste, diesen Vorsatz in die Tat umzusetzen. Als vorläufigen Ersatz für mich wählte ich einen der Gefreiten aus, der dem Sniper-Team bereits geholfen hatte. Er schien in Ordnung zu sein und hatte Potenzial.
Langeweile war ein Grund, weshalb ich lieber auf den Straßen kämpfen wollte. Ich hatte vor allem das Gefühl, dass ich die Marines besser beschützen konnte, wenn ich bei ihnen war. Sie mussten die Gebäude notgedrungen durch den Vordereingang betreten und holten sich regelmäßig blutige Nasen. Ich hatte es schon mehrfach beobachtet: Sie gingen hinein, dann folgten Schüsse und kurze Zeit später wurde jemand auf einer Trage weggebracht, weil er angeschossen worden war. Das ärgerte mich maßlos.
Ich verehre die Marines, aber das Problem ist, dass diese Jungs im Gegensatz zu mir niemals gelernt haben, Gebäude zu klären. Das ist keine Spezialität der Marines. Sie waren alle zähe Kämpfer, aber sie mussten noch einiges über den Häuserkampf lernen. Dabei war vieles davon recht einfach: Wie man sein Gewehr hält, wenn man ein Zimmer betritt, damit es niemand entreißen kann; wohin man sich bewegt, sobald man in den Raum kommt; wie man sich in einer Stadt vor Angriffen aus allen Richtungen schützen kann – solche Dinge lernen wir SEALs so lange, bis wir sie im Schlaf beherrschen.
Die Einheit hatte keinen Offizier; der ranghöchste Mannschaftsgrad war ein Sergeant, ein E6 im Marine Corps. Ich war ein E5, unterstand ihm hierarchisch also, aber es machte ihm nichts aus, dass ich bei den Einsätzen die Führung übernahm. Wir hatten schon eine Weile zusammengearbeitet und ich denke, ich hatte mir den Respekt der Jungs verdient. Außerdem wollte auch er nicht, dass seine Leute angeschossen wurden.
»Ich bin ein SEAL, ihr seid Marines«, sagte ich. »Ich bin nicht besser als ihr. Der einzige Unterschied zwischen mir und euch ist, dass ich mehr Zeit damit verbracht habe, solche Dinge gezielt einzuüben. Deshalb würde ich euch gerne helfen.«
Wir trainierten in der Pause ein wenig. Ich gab einem Mitglied der Einheit, das sich damit auskannte, einige meiner Sprengsätze. Wir übten, wie man Schlösser sprengt. Bis zu jenem Zeitpunkt hatten sie nur wenig Sprengstoff zur Verfügung gehabt, weshalb sie die Türen kurzerhand eintraten, was natürlich Zeit kostete und sie angreifbar machte.
Nach der Pause folgte die praktische Anwendung.
Im Haus
Ich ging voran.
Als ich vor dem ersten Haus wartete, dachte ich an die Jungs, die auf Tragen abtransportiert worden waren.
Auf gar keinen Fall wollte ich einer von ihnen sein.
Die Wahrscheinlichkeit bestand allerdings.
Es fiel mir nicht leicht, diesen Gedanken aus meinem Kopf zu bekommen. Ich wusste auch, dass ich knietief im Dreck stecken würde, sollte ich angeschossen werden – denn auf den Straßen zu patrouillieren, gehörte nicht zu meinen Aufgaben, zumindest offiziell betrachtet. Es war auf jeden Fall das Richtige – schon weil ich das Gefühl hatte, es tun zu müssen –, aber ich war sicher, die Befehlsleitung wäre nicht begeistert.
Andererseits wäre das im Fall einer Verwundung wohl mein geringstes Problem.
»Los geht’s«, sagte ich.
Wir sprengten das Türschloss. Ich ging voran, meine Bewegungen liefen wie ferngesteuert ab. Ich klärte den ersten Raum, machte Platz, dirigierte die übrigen Teammitglieder. Das Tempo war schnell und automatisch. Während die Aktion ablief und ich mich durch das Haus bewegte, war ich wie weggetreten. Ich machte mir überhaupt keine Sorgen mehr über Opfer. Ich dachte nur noch an die Tür, das Haus, das Zimmer – das reichte voll und ganz.
Beim Betreten eines Hauses wusste man nie, was einen
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