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Snobs: Roman (German Edition)

Snobs: Roman (German Edition)

Titel: Snobs: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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erinnere, dass Charles – der nette, gutmütig-derbe Charles mit seiner Jagd und seinen Heckenpflanzungen und seinen Hunden – ein Herz besaß, das gebrochen werden konnte. Doch er hatte eines und ich musste mit ansehen, wie es brach.
    Bevor ich etwas sagen konnte, drang vom Gang ein Geräusch zu uns. »Charles?« Es war Lady Uckfield. Nicht einmal in einem Moment emotionaler Hochspannung würde sie an der Tür eines Wohnraums anklopfen, was gegen die Etikette verstieß (auch wenn weiß behandschuhte Butler dies in historisch ungenauen Fernsehfilmen immer wieder ausgiebig tun); stattdessen drehte und zerrte sie
am Türknauf herum, als wäre es leichter gewesen, die Bundeslade zu öffnen. Jedenfalls gab sie uns genügend Zeit, damit wir uns, so erforderlich, ankleiden und unsere Tränen trocknen konnten, bevor sie die Tür aufmachte und ins Zimmer trat. »Ach ja, Charles«, sagte sie und lächelte ihren Sohn unbeschwert an – dass ihm der Fall von Rom ins Gesicht geschrieben stand, überging sie völlig. »Edith ist da. Sie sind am Ortsrand hängen geblieben. Zu dumm.« Sie nickte mir zu. »Ihr Freund ist gleich zur Farm weitergefahren.« Charles nickte benommen und kehrte wieder in den Salon zurück. Ich wollte ihm folgen, doch Lady Uckfield hielt mich mit einem winzigen Druck am Arm zurück.
    »Wir sollten lieber auch aufbrechen«, sagte ich. »Wo ist Bob? Ich muss ihm für die Einladung danken.«
    »Er ist schon zu Bett gegangen«, antwortete sie. »Ihre reizende Adela hat sich bereits bei ihm bedankt.« Wir schwiegen. Sie stand neben dem Kamin und ließ die Finger träge über die Karten gleiten, die ihren Sohn zu verschiedenen Festlichkeiten einluden. Nur eine dämmrige Lichtquelle erhellte den Raum, eine Schreibtischlampe mit Bronzefuß und Glasschirm, die lange Schatten warf und ihr Gesicht grausam zerfurcht erscheinen ließ. Ausnahmsweise sah man ihr einmal an, wie alt sie war. Der glanzvolle Schleier ihrer imposanten Erscheinung lüftete sich einen Moment und enthüllte eine müde, von Sorgen gequälte Frau Ende der mittleren Jahre.
    »Eine schöne Bescherung«, sagte sie, ohne von der Einladung zu einer Hochzeit aufzublicken, auf der ich einen Haken erkennen konnte und, von Edith rasch hingekritzelt, die Notiz »zugesagt«.
    »Ach, ich weiß nicht«, antwortete ich. Meine Stellung hier war äußerst prekär, denn schließlich war ich als Ediths Freund im Haus. Ich hatte mich daher ihr gegenüber loyal zu verhalten, obwohl ich der Meinung war, dass sie sich Dummheiten geleistet hatte. Ich war sozusagen nicht »auf ihrer Seite«, fand es aber ungehörig, mich auf eine andere Seite zu stellen.
    »Aber ich.« Sie machte eine Pause und ich hob den Kopf, so schneidend war ihr Ton gewesen. »Es ist schlimmer, als Sie glauben. Eric
war bei seinem Wagen, als sie ankamen. Er hat gesehen, wie sie sich küssten.«
    Einen Augenblick lang blieb mir buchstäblich die Spucke weg. Ich hatte gedacht, wir hätten es mit kleineren Unschicklichkeiten zu tun, geboren aus Ediths Langeweile. Ich hatte eine kleine Unterhaltung über Ediths trotziges Aufbegehren erwartet. Natürlich hatte ich sofort den Verdacht, dass Eric bei ihrer Ankunft nicht »bei seinem Wagen« gewesen war, sondern gezielt auf der Lauer gelegen hatte, damit er nicht die vom Himmel gesandte Chance verpasste, Edith etwas anzuhängen, die er inzwischen hasste wie die Pest. Mehr noch, als ich ahnte. Welche Motive auch immer dahintersteckten – als er seine Beobachtungen weitergab, hatte er jedenfalls nicht gelogen. Um der alten Zeiten willen versuchte ich Edith aus der Grube zu ziehen, die sie sich selbst gegraben hatte. »Ach, das war bestimmt nur ein Abschiedskuss.«
    »Sie küsste ihn leidenschaftlich. Er hatte die Hand in ihrer Bluse, ihre Hand war vom Armaturenbrett verdeckt.« Lady Uckfield lieferte einen nüchternen Bericht ab wie ein Polizist vor Gericht. Ich starrte sie schweigend an. Mein erster Impuls war, mich für meine Anwesenheit zu entschuldigen und auf und davon zu rennen. Jedenfalls fiel mir nichts mehr ein. Lady Uckfield fuhr fort: »Das Schlimmste ist, dass sie ausgerechnet von Eric gesehen wurden. Er ist absolut unfähig, etwas für sich zu behalten, überdies habe ich den Verdacht, dass er Edith nicht sonderlich leiden kann. Er hat alles bereits Caroline berichtet, die es mir erzählt hat. Sie versucht ihn dazu zu bringen, dass er den Mund hält, was ihr wahrscheinlich nicht gelingen wird.« Was mich an dem Ganzen am meisten

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