Snobs: Roman (German Edition)
faszinierte, war Lady Uckfields Verhalten. Ich hatte mich an ihr leidenschaftliches, komplizenhaftes Geflüster gewöhnt, mit dem sie einem die Schlagzeilen des Tages verriet oder wo man beim Dinner sitzen würde. Jetzt hatte sie ein echtes Geheimnis mitzuteilen, und ihre ganze mädchenhafte Überschwänglichkeit war wie weggeblasen. Sie hätte eine Offizierin des Frauen-Freiwilligendienstes im Zweiten Weltkrieg sein können, die vor einer Gruppe neu Angeworbener spricht. »Vermutlich können wir
hoffen, dass die Dinge nicht weiter vorangeschritten sind, aber das ändert wohl auch nicht viel.«
»Werden Sie es Charles sagen?«
Sie sah erschrocken auf. »Selbstverständlich nicht. Glauben Sie, ich bin verrückt?« Sie entspannte sich wieder. Der Schock, für so altmodisch gehalten zu werden, war wieder verflogen. Sie ließ die Einladung fallen und ging langsam zum Fenster hinüber. »Aber er wird es ohnehin mitbekommen.«
»Wie sollte er?«, fragte ich, weil ich ihr zu verstehen geben wollte, dass auch ich schweigen würde.
Sie lächelte traurig. »Wahrscheinlich wird Edith es ihm sagen. Oder sonst jemand.« Dem gab es nichts entgegenzusetzen, weil sie zweifellos Recht hatte. Edith war in ihrer Langeweile so weit, dass sie dem fatalen Drang nachgeben würde, es zum großen Knall kommen zu lassen, den viele verheiratete Paare heutzutage geradezu auszukosten scheinen. Im Gegensatz zu ihren Urgroßeltern, die alles daransetzten, um ihn zu vermeiden. Ich empfand mein Schweigen als unbeholfen, doch mir war wirklich nicht ganz klar, warum Lady Uckfield mir das alles erzählte. Bei aller Pseudovertraulichkeit ließ sie sonst nie etwas auch nur im Entferntesten Privates, geschweige denn Skandalöses, durchsickern. Sie musste mir meine Frage vom Gesicht abgelesen haben, denn sie antwortete unaufgefordert: »Ich möchte, dass Sie etwas für mich tun.«
»Selbstverständlich.«
»Ich möchte, dass Sie Simon sagen, diesem großen Jungen, er soll sie in Ruhe lassen.«
»Nun …« Bedauernswert der Mann, der sich zu einem solchen Auftrag bereit erklärt. Welche Meinung ich auch von Simons Charakter und Moral haben mochte, ich war kaum der Richtige, um ihm gegenüber den weisen Onkel herauszukehren.
Lady Uckfield zog alle Register, um meine Widerstände zu überwinden. Ihr Tonfall hatte fast wieder seine übliche Gewandtheit und Leichtigkeit, als ihre Worte hervorsprudelten. »Sie langweilt sich. Mehr ist an der Sache nicht dran. Sie langweilt sich und sollte öfter
nach London. Ihre Freunde öfter sehen. Oder ein Baby bekommen. Oder sich einen Job suchen. Das ist alles, was sie braucht. Und was diesen Jungen angeht …« Sie zuckte mit den Achseln. »Er sieht gut aus, ist charmant, aber in erster Linie ist er hier . Wenn man sich mit neuen Lebensumständen zurechtfinden muss, kann so etwas schon passieren. Es hat nichts zu bedeuten. Das Ärgerliche ist nur, dass Eric sie gesehen hat. Er wird es mit ziemlicher Sicherheit herumposaunen und unsere Aufgabe ist es nun, dafür zu sorgen, dass niemand seine Geschichte bestätigen kann.«
Ich begann die Dinge aus ihrem Blickwinkel zu sehen. Natürlich war alles nur ein dummer Ausrutscher, der nur deswegen schrecklich war, weil er Charles verletzen würde, wenn er davon erfuhr. Ja, es war sehr bedauerlich, dass Eric die beiden gesehen hatte. Das war das Verflixte. Lady Uckfields bezaubernde, gleichmäßig dahinperlende Stimme drängte die drohende Anarchie und die Stürme zurück, die uns einen Moment lang zu verschlingen drohten, und steuerte uns wieder ans sichere Ufer. »Ich werde mein Bestes tun«, sagte ich.
»Natürlich werden Sie das, und die Dreharbeiten sind ohnehin fast vorbei. Jammerschade, dass wir Sie verlieren«, fügte sie hastig hinzu, als sie merkte, was sie da sagte, »aber trotzdem …«
Ich nickte und sie ging zur Tür. Ihre Arbeit war getan. Sie hatte Schadensbegrenzung betrieben, und dazu war es erforderlich gewesen, dass sie mich ins Vertrauen zog. Doch ich war ja bereits ihr Verbündeter. Alles hätte schlimmer kommen können.
»Lady Uckfield«, sagte ich. Sie blieb stehen und drehte sich um, die Hand noch auf dem glänzenden Türknauf. »Seien Sie nicht zu streng mit Edith.«
»Natürlich nicht«, erwiderte sie lachend. »Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber auch ich war einmal jung.« Dann war sie fort, und bei mir war der letzte Zweifel ausgelöscht, dass sie ihre Schwiegertochter so erbittert hasste, wie sie jede Frau gehasst hätte, die
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