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Snobs: Roman (German Edition)

Snobs: Roman (German Edition)

Titel: Snobs: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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Nerven zu gehen begann, weil uns dies als der schlimmste Verrat an unseren eigenen Träumen erschienen wäre? Nein – zwar sind die meisten von uns nie so unglücklich gewesen wie in Zeiten der Verliebtheit, dennoch ist dies der Zustand, nach dem sich der Mensch am meisten sehnt.
    Mochte Edith noch so hingerissen von Simon sein, hatte sie doch nicht vor, ihm einen festen Platz in ihrem künftigen Leben einzuräumen. Jedoch hatte sie ihre anfängliche Gereiztheit über seine kokette Geschwätzigkeit längst vergessen und hörte jetzt liebend gern zu, wenn er von seinen Mühen, seinen Hoffnungen, seinen Träumen erzählte  – allein schon deshalb, weil sie so gern zusah, wie sein Mund sich bewegte. Und wunderschön, wie Simon war, gab er ihr das Gefühl, ungemein lebendig und begehrt zu sein. Sie mochte seine körperliche Nähe, genoss es, wenn er mit dem Arm ihren Ärmel streifte, wenn seine Hand wie zufällig die ihre berührte, doch weiter dachte sie nicht. Oder hatte es bis zu diesem Moment nicht getan. Es war ihr Pech, dass er in einer Zeit unerträglicher Langeweile in ihr Leben trat. Vor ihrer Hochzeit hatte sie am Telefon des Maklerbüros gegähnt
und von der Abwechslung geträumt, die ihr neues Leben bringen würde, ohne zu bedenken, dass auch dieses neue Leben nach einigen Monaten eine eigene Gleichförmigkeit entwickeln würde. Sie langweilte sich, und da sie von der Erfüllung ihres gesellschaftlichen Ehrgeizes ständige Aufregungen erwartet hatte, hielt sie Langeweile für schrecklicher, als sie ist.
    Edith hatte zugelassen, dass Charles’ Unfähigkeit, ihr Interessantes zu bieten, langsam, aber unerbittlich die Reste ihrer Zuneigung zu ihm vertrieb. Auch wenn Edith sich dunkel bewusst war, dass das nicht so hätte sein müssen. Wenn sie wie ihre Schwiegermutter früh die Grenzen ihres Mannes gesehen und sich damit abgefunden hätte, dann hätte sie ihm durchaus zugetan bleiben können. Wenn sie keine Unterhaltung bei ihm gesucht hätte, dann hätte sie vielleicht nicht mehr von ihm erwartet, als er ihr geben konnte: Treue, Sicherheit, sogar Liebe einer wenig fantasievollen Art. Sie hatte sich nie ehrlich eingestanden, dass sie um seiner gesellschaftlichen Stellung willen einen Mann geheiratet hatte, den sie nicht liebte; ebenso wenig konnte sie nun akzeptieren, dass sie selbst dafür verantwortlich war, wenn sie mit einem Mann lebte, der ihr an Lebhaftigkeit und Intelligenz unterlegen war. Edith gab Charles die Schuld, dass ihr Leben so öde war, es war Charles’ Schuld, dass sie keinen anregenden Kreis in London hatten, es war Charles’ Schuld, dass sie ihre gemeinsamen Stunden mehr fürchtete als die Zeit, die sie allein verbrachte. Längst war sie in die gefährliche Rolle gerutscht, vor einer bewundernden Menge die glückliche, liebenswürdige Gattin zu spielen, wie es nur diejenigen tun können, die im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen, wodurch aber die frostige Starre ihres Privatlebens nur noch schärfer hervortrat. Sie war bei den Dorfbewohnern, den Hilfsorganisationen, den Arbeitern auf dem Gut so beliebt, dass sie selbst schon an die reale Existenz dieser eleganten, glücklichen Frau glaubte, deren Spiegelbild sie in den Augen der Leute (und in der lokalen Presse) sah. Und es musste Charles’ Schuld sein, wenn er auf sie nicht genauso ansprach wie die Landgemeinde ihrer bewundernden Fans.
    Nicht etwa, dass sie den Kitzel der Gefahr geliebt hätte. Sie hatte
Simons Angebot, sie nach Hause zu fahren, vor allem auch deshalb angenommen, um ihre Schwiegermutter zu ärgern. Als sie sich zum ersten Mal mit Simon im Dunkeln allein fand, war sie sogar überrascht über die Stärke der körperlichen Anziehung. Worauf sie allerdings noch weniger gefasst war, war dieses prickelnde Gefühl der sich regenden Lebensgeister und die schwindelerregende Entdeckung bisher unerforschten Potenzials. Die Erkenntnis traf sie wie ein Blitz: Genau das hatte sie seit ihrer Heirat am meisten vermisst. Monatelang hatte es den Anschein gehabt, als gäbe es in ihrem Leben nichts Offenes, Ungeregeltes mehr. Alle Entscheidungen waren getroffen und sie würde mit ihnen leben müssen. Und dennoch saß sie hier, sah, wie sich der Kordstoff von Simons Hose über seine Oberschenkelmuskeln spannte, und berauschte sich an dem köstlichen Gefühl, dass es zwischen jetzt und dem Tod immer noch unerwartete Möglichkeiten für sie gab.
     
    Als wir in Broughton ankamen, baten uns die Uckfields noch zu einem Drink herein.

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