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Snobs: Roman (German Edition)

Snobs: Roman (German Edition)

Titel: Snobs: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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hinüber. Ich blieb bei Trollopes Can You Forgive Her hängen und musste innerlich lächeln, auch wenn das nicht loyal Charles gegenüber war. He Knew He Was Right vom selben Autor ernüchterte mich wieder. Ich hatte damals keine Vorstellung, wie weit Charles zu Eifersucht fähig war, weil ich sein Gefühlsleben nicht kannte. Dass jemand nicht besonders intelligent ist, will in diesen Dingen nichts heißen. Manche Menschen entwickeln bei aller Beschränktheit äußerst komplexe Gefühle, während andere sehr klug, aber zu tiefen Gefühlen unfähig sein können.
    »Was denken Sie?«, hörte ich ihn sagen, und einen Moment lang fragte ich mich, ob er meine Meinung zu einem ungewöhnlichen Buch hören wollte, doch als ich ihm ins Gesicht sah, verwarf ich diese
Vermutung gleich wieder. Um sicher zu gehen, antwortete ich mit einer Gegenfrage: »Worüber?«
    »Was haben sie vor?«
    Er trat schroff und konservativ auf und ich sah, dass wir ein Gespräch »von Mann zu Mann« führen würden. Mir graute vor dieser Aussicht. Schon deswegen, weil ich in Fragen ehelicher Harmonie ein überzeugter Anhänger der Maxime bin, je weniger man sagt, desto weniger macht man kaputt – eine Überzeugung, die durch mein Eheleben übrigens keineswegs an Stärke verlor.
    »Ach Charles, wo denken Sie hin«, sagte ich begütigend und ließ durchklingen, dass sie unmöglich etwas »vorhaben« konnten. Ich bin nicht sicher, ob ich mit dieser Taktik unehrlich war; eigentlich glaube ich das nicht, auch wenn es naiv klingt. Rückblickend ist klar, dass sich Edith und Simon ab dem zweiten Tag ihrer Bekanntschaft zueinander hingezogen fühlten, doch ich weiß nicht, ob mir das vor diesem Abend schon aufgefallen war.
    »Wo denken Sie hin?«, fragte Charles in ungewohnt scharfem Ton.
    »Jetzt hören Sie mir mal zu.« Ich schlug einen sehr versöhnlichen Ton an. »Wenn Sie mich fragen, ob ich etwas weiß: Nein, ich weiß nichts. Wenn Sie mich fragen, ob ich etwas denke: Nein, ich denke nichts. Jedenfalls nicht viel. Ich glaube, die beiden mögen einander, weiter nichts. Ist das so furchtbar? Hatten Sie, seit Sie verheiratet sind, nie den Wunsch, mit jemandem zu flirten?«
    »Nein«, sagte Charles, ließ sich auf einen Chippendale-Stuhl fallen und stützte seine Ellbogen auf einen hübschen, unaufgeräumten Schreibtisch. Dann vergrub er den Kopf in den Händen und raufte sich die Haare. Er bot ein Bild des Jammers. Ich hatte die falsche Taktik eingeschlagen, als ich mir einbildete, begütigende Worte hätten hier Erfolg, und doch wollte ich nicht vorpreschen und noch persönlicher werden, was Charles, den ich schließlich nicht sehr gut kannte, womöglich als Unverschämtheit empfinden würde. Der Mann tat mir Leid und ich wünschte, mir würde etwas einfallen, wie ich den Druck verringern könnte, statt ihn zu vergrößern. Ein Seufzer vom Schreibtisch unterbrach meine abschweifenden Überlegungen.
    »Sie liebt mich nicht, das ist es.« Er redete zu dem Papierstapel unter sich, doch da die Bemerkung vermutlich an mich gerichtet war, suchte ich fieberhaft nach dem richtigen Ton für eine Antwort.
    Was dies doppelt erschwerte, war natürlich, dass Charles’ karge Feststellung im Grunde den Tatsachen entsprach. Für mich stand es außer Frage, dass Edith ihn zu diesem Zeitpunkt nicht liebte. Sie begehrte ihn nicht (was ich allerdings nur vermutete), sie genoss seine Gesellschaft nicht, sie teilte seine Interessen nicht, sie mochte die meisten seiner Freunde nicht. Ich glaube nicht, dass sie damals oder später tatsächlich eine Abneigung gegen ihn empfand, aber das war kaum die richtige Antwort auf Charles’ Schmerzensschrei. Also hielt ich den Mund, was wohl nur schweigende Zustimmung bedeuten konnte, und Charles sah hoch. Ich kann nicht ausdrücken, wie sehr mich das furchtbare Leid in seinem einfachen Landadligengesicht berührte. Seine schmalen Augen röteten sich unter dem Andrang der Tränen, die schon seine große, knochige Nase entlangliefen. Seine Haare, sonst so glatt wie auf einer Brillantine-Reklame aus den Dreißigerjahren, waren völlig zerrauft und standen stellenweise vom Kopf ab. Schöne Menschen können auch große Trauer mit Grazie zur Schau tragen, und ich habe bei Begräbnissen viel würdevolle Anmut gesehen, doch meiner Erfahrung nach ist es immer verdächtig, wenn einem der Schmerz gut zu Gesicht steht. Wirkliches Leid ist hässlich, es fügt der Seele Wunden und Narben zu. Ich werde rot, wenn ich mich an meine Überraschung

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