Snow Crash
später etwas anzufangen, als Doktorandin, als ich versuchte, ein Anwenderinterface zu bauen, das eine Menge Daten sehr schnell übertragen konnte â ein Forschungsauftrag von diesen Babymördern.« Das war ihr Ausdruck für alle, die etwas mit dem Verteidigungsministerium zu tun hatten. »Ich dachte mir alle möglichen komplexen technischen Kniffe aus, zum Beispiel das direkte Verpflanzen von Elektroden ins menschliche Gehirn. Dann fiel mir meine GroÃmutter ein, und ich dachte mir, mein Gott, der menschliche Verstand kann unglaubliche Informationsmengen absorbieren und verarbeiten â wenn sie im richtigen Format sind. Das richtige Interface. Wenn man ihnen das richtige Gesicht gab. Möchtest du Kaffee?«
Er hatte einen erschreckenden Gedanken: Wie war er damals am College gewesen? Ein groÃes Arschloch? Hatte er einen schlechten Eindruck bei Juanita hinterlassen?
Jeder andere junge Mann hätte sich insgeheim darüber Gedanken gemacht, aber Hiro hatte sich nie dadurch abschrekken lassen, daà er zu gründlich über alles nachdachte, daher lud er sie zum Essen ein, und nach ein paar Drinks sprach er die Frage einfach aus: »Hältst du mich für ein Arschloch?«
Sie lachte. Er lächelte und glaubte, daà ihm eine gute, charmante, kokette Formulierung geglückt wäre.
Erst einige Jahre später wurde ihm klar, daà diese Frage in Wirklichkeit der Eckstein ihrer Beziehung gewesen war. Hielt Juanita Hiro für ein Arschloch? Er hatte immer Grund zu der
Vermutung, daà die Antwort ja lautete, aber bei neun von zehn Anlässen versicherte sie ihm, daà die Antwort nein sei. Das führte zu groÃartigen Diskussionen und groÃartigem Sex, einigen dramatischen Trennungen und leidenschaftlichen Versöhnungen, aber letztendlich war die Wildheit einfach zuviel für sie â sie waren erschöpft von der Arbeit -, daher lieÃen sie voneinander ab. Er war emotional ausgelaugt, weil er sich ständig fragte, was sie wirklich von ihm hielt, und die Tatsache verwirrte ihn, daà ihm soviel an ihrer Meinung lag. Und sie kam möglicherweise langsam zu der Ansicht, wenn Hiro in seinem tiefsten Inneren überzeugt war, er sei ihrer nicht würdig, muÃte er möglicherweise etwas wissen, das sie nicht wuÃte.
Hiro hätte alles auf Klassenunterschiede zurückgeführt, nur lebten ihre Eltern in einem Haus mit gestampftem Sandboden in Mexicali, und sein Vater verdiente mehr Geld als viele Collegeprofessoren. Aber dennoch wurde er den Gedanken an Klassenunterschiede nicht los, denn Klassen bedeuten mehr als Einkommen â sie haben damit zu tun, daà man seinen Platz innerhalb eines Netzes gesellschaftlicher Beziehungen kennt. Juanita und ihre Leute wuÃten mit einer Sicherheit, die an Schwachsinn grenzte, welchen Platz sie einnahmen. Hiro wuÃte es nie. Sein Vater war Sergeant Major, seine Mutter eine Koreanerin, deren Vorfahren Minensklaven in Japan gewesen waren, und Hiro wuÃte nicht, ob er schwarz oder asiatisch oder einfach nur Armee war, ob reich oder arm, gebildet oder unwissend, ob er begabt war oder Glück gehabt hatte. Er hatte nicht einmal einen Teil des Landes, den er als seine Heimat bezeichnen konnte, bis er nach Kalifornien zog, was etwa so genau ist, als würde man sagen, daà man auf der nördlichen Hemisphäre lebt. Letztendlich lag es wahrscheinlich an seiner allgemeinen Desorientierung, daà ihre Beziehung in die Brüche ging.
Nach der Trennung ging Hiro mit einer langen Reihe von im Grunde genommen Bimbos aus, die (anders als Juanita) beeindruckt waren, daà er für ein High-Tech-Unternehmen im Silicon Valley arbeitete. In letzter Zeit hat er nach Frauen suchen müssen, die noch leichter zu beeindrucken sind.
Juanita blieb eine Zeitlang im Zölibat, dann ging sie mit Da5id aus und heiratete ihn schlieÃlich. Da5id hatte nicht die geringsten Zweifel, was seinen Platz in der Welt betraf. Seine Eltern waren russische Juden aus Brooklyn und hatten siebzig Jahre lang im selben Mietshaus gelebt, nachdem sie aus einem Dorf in Lettland gekommen waren, wo die Familie fünfhundert Jahre lang gelebt hatte; mit einer Torah auf dem Schoà konnte er seine Vorfahren bis zu Adam und Eva zurückverfolgen. Er war ein Einzelkind und immer in allen Fächern Klassenbester gewesen, und als er seinen Abschluà in Computerwissenschaften in Stanford gemacht hatte, gründete er seine eigene Firma
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