So bin ich eben - Erinnerungen einer Unbezaehmbaren
sehr zornig. Ich stürze mich auf ihn und zahle es ihm heim. Nach ein paar Sekunden fängt er sich wieder, sein Blick ist eisig. Er greift in die Sakkotasche, zieht einen Revolver heraus und legt ihn auf den Tisch.
Ich weiß nicht, wie viele Ohrfeigen und Faustschläge ich bekommen habe. Ich hatte Schmerzen. Die Lippen taten weh, sie bluteten. Die Wangen brannten. Die Knochen schmerzten höllisch. Die Wunden dieser Prügelei werden nie verheilen.
Dann verliere ich den Boden unter den Füßen, ich sehe nichts mehr, spüre nur noch Schläge.
Im Gefängnis
Bei Anbruch der Nacht komme ich wieder zu mir. Ein Soldat holt mich ab.
Zusammengekauert wie ein kleines Kind lag ich auf dem Fußboden. Ich hatte mich in den Schlaf geflüchtet.
Man bringt mich hinunter in eine Halle zu einer Gruppe Frauen. Auch meine Schwester ist dabei.
In Handschellen werden wir zu einem Gefangenentransporter geführt. Ich steige in das finstere Gefährt ein. Das bisschen Licht, das durch die vergitterten seitlichen Öffnungen dringt, lässt uns zumindest unsere Schatten unterscheiden. Man pfercht uns zusammen. Die Fahrt dauert lange, scheint mir.
Dann öffnet sich die Tür, wir müssen aussteigen. Wo hat man uns hingebracht?
Wir stehen vor dem Eingangstor des Gefängnisses von Fresnes, dem zweitgrößten Frankreichs. Verstört und noch immer gefesselt betreten wir einen fast leeren Raum. Hier sollen wir unsere persönlichen Sachen auf einem Tisch ablegen. Ringe, Armbänder und Armbanduhren verschwinden ganz schnell in diversen Säcken. Man führt uns in den nächsten Raum, in dem wir nacheinander durchsucht werden.
Nicht einmal vor den intimsten Stellen unseres Körpers machen sie halt. Keine entgeht der Leibesvisitation. Ich, ein Mädchen von sechzehn Jahren, lerne hier auf rüde Weise die kapitalen Fehler in der menschlichen Natur kennen. Der Ekel und mein Sinn für die Revolte haben hier ihren Ursprung; sie werden mich nie verlassen. Mein Blick auf den Menschen hat sich hier für alle Zeiten geändert.
Man stößt mich in eine enge Zelle. Ein Brett ist in die Mauer als Bett eingelassen. Ich sehe zur Decke, die sehr hoch ist. Von deren Mitte hängt ein Kabel herunter, an dessen Ende eine Glühbirne befestigt ist.
Es gibt kein Fenster, kein Tageslicht.
Drei Tage ist diese Glühbirne meine einzige Gesellschaft. Sie bleibt immer eingeschaltet, manchmal flackert sie ein bisschen. Sie ist mein Lebensinhalt.
In der Tür ist ein Loch, das mir Angst macht. Ich weiß, dass man mich durch dieses Loch beobachten kann.
Noch heute werde ich nachts von diesem Guckloch verfolgt.
Später habe ich erfahren, dass ich in einer Zelle für zum Tode Verurteilte untergebracht war.
Eines Morgens darf ich diese Zelle endlich verlassen. Man bringt mich zu einer Gruppe Frauen, bei der auch meine Schwester ist.
Kaum bin ich in ihrer Nähe, fasse ich wieder Zutrauen, schöpfe Kraft und Hoffnung. Doch die Zuversicht währt nicht lange. Die Wärter trennen uns bald wieder. Jede kommt in eine andere Zelle.
Als die schwere Zellentür Nummer 322 aufgestoßen wird, drehen sich drei alterslose Frauen mit verschlossener Miene zu mir um und starren mich an. In diesem feindlichen Terrain wage ich mich keinen Schritt nach vorn. Ich drücke mich in die Ecke, wo die Toilette ist; der Wasserhahn tropft.
Der Wärter gibt mir eine Decke, die wie ein Scheuertuch aussieht, und einen Baumwolllappen, orange und schwarz gemustert, der aus einem Stück Stoff gerissen wurde. Wahrscheinlich ist der Fetzen als Handtuch gedacht.
Meine Mitinsassinnen sind Prostituierte. Von früh bis spät legen sie einander die Karten und sagen sich die Zukunft voraus. Ihnen zuzuhören, wie sie sich unterhalten, lehrt mich eine Menge über das Leben; vor allem lerne ich, mich gegen die Männer zu wappnen, die vielleicht meine Situation als junges, ein bisschen hilfloses Mädchen ausnutzen wollen.
Plötzlich wird die Zellentür aufgestoßen. »Zeit zum Duschen! Beeilt euch! Schnell!«
In Gruppen eingeteilt – eine jede von uns hat ihr schäbiges Handtuch dabei –, steigen wir die Treppen hinunter. Hinter schweren Eisentüren befinden sich die Duschen. Die Wärter sehen uns beim Ausziehen zu. Ihre schmutzigen, perversen Blicke und ihr spöttisches Gelächter verfolgen mich noch heute. Wir sind nackt und wehrlos. Was für eine Demütigung! Nie mehr werde ich mich vor jemandem entkleiden können.
Wir haben nicht viel Zeit. Obwohl ich mich beeile, wird mir das Wasser abgestellt, bevor ich die
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