So bin ich eben - Erinnerungen einer Unbezaehmbaren
Eddie Barclay zum Essen eingeladen. Wir begegneten uns vor der Toilette. Dort begann unser Gespräch, mehr als zwei Stunden haben wir über Gott und die Welt geredet. Er stand angelehnt am Waschbecken, und ich hatte mich auf den Deckel der Kloschüssel gesetzt. Wir sprachen über unsere Projekte, unsere Ideen, unsere Sicht der Welt.
Die übrigen Gäste dürften sich während unserer langen Abwesenheit mit ihren Kommentaren überschlagen haben. Was man verstehen kann.
Gut ein Jahr vor seinem Tod 1978 kam er heimlich in die Rue de Verneuil zu mir nach Hause, um für sein neues Album zu proben.
Ich hatte Gérard Jouannest den Hausschlüssel gegeben und ihn gebeten, mir telefonisch mitzuteilen, wann sie ankommen. Ich wollte mich nämlich ganz in mein Zimmer zurückziehen, um sie nicht zu stören. Vorher hatte ich im Haus Klarschiff gemacht.
Nach drei Tagen fragte er Gérard, wo ich stecke. Er musste meine Anwesenheit gespürt haben. Aber ich blieb dabei, ich wollte die Probenarbeit keineswegs durcheinanderbringen. Sieben Tage später ließ er mir ausrichten: »Falls sie›Vieillir‹ singen will, fände ich das schön.« Ich habe mich dann aber für »Voir un ami pleurer«entschieden, das ich noch schöner fand. Jacques’ Album wurde sehr persönlich, das Publikum hatte es sehnlichst erwartet.
Jacques verlangte von Barclay, zu dessen großer Verwunderung, seine Platte erst nach meiner herauszubringen. Diese Großherzigkeit war ein Beweis für seine Freundschaft.
Les marquises erschien im November, eine Woche nach meinem Album. Darauf singe ich unter anderem »Voir un ami pleurer«, »Non monsieur, je n’ai pas vingt ans« und »Adieu à toi«. Diese Platte ist die Frucht einer Zusammenarbeit von extrem begabten Künstlern: die Liedtexte sind von Jacques Brel, Henri Gougaud, Pierre Seghers; die Musik stammt von Jacques Brel und Gérard Jouannest; für die Arrangements sorgte François Rauber. Auch er verstarb viel zu früh. Denn diesen Magier, der von vielen geliebt wurde, kann niemand ersetzen.
Von dem Zaubertrio Brel–Rauber–Jouannest ist nur Gérard übrig geblieben. Aber es scheint, als wohnten seine beiden Mitstreiter jetzt in seinem Herzen.
Meine Musiker
In den Siebzigerjahren habe ich Texte von Maurice Fanon, Henri Gougaud und Pierre Seghers interpretiert. Für mich besitzen diese Lieder eine einzigartige Poesie.
Es sind auch engagierte Texte dabei, ich denke vor allem an die von Fanon.
Nach der Abreise von Jacques Brel auf die Marquesas-Inseln Ende 1967 durchlebt Gérard Jouannest eine unruhige Zeit. Andere Künstler bemühen sich zwar um ihn, doch er bleibt zögerlich. Jacques’ Abreise bedeutet das Ende einer großartigen Lehrzeit für ihn, womit er nicht gut zurechtkommt.
Zur selben Zeit scheint Henri Patterson nach zwanzig Jahren unserer Zusammenarbeit müde zu sein; er ist krank und launisch. Unser gemeinsamer Weg findet ein Ende. Wie kann ich die Zärtlichkeit dieses wunderbaren Weggefährten, treuen Freundes und Bruders je vergessen? Was mache ich auf der Bühne ohne ihn? Aber das Leben ist nun mal keine gerade Linie, wir müssen uns trennen.
Für mich hatte Patterson den »Katzenschritt« erfunden. Da er um mein enormes Lampenfieber wusste, spielte er mir vor jedem Auftritt eine kleine Melodie vor. Note für Note bewegten und tanzten seine Finger wie Katzenpfoten über die Tastatur. Dieser kindliche Schabernack ließ mich schmunzeln, ich musste lachen – und meine Angst war weg. Ein Augenblick des Glücks.
Patterson musste am Tag vor der Abreise zu unserer Kanadatournee urplötzlich ins Krankenhaus eingeliefert werden. Also frage ich François Rauber, ob er mir helfen kann. Der setzt sich sofort mit Gérard Jouannest in Verbindung, dem Barbara auch wegen Krankheit gerade abgesagt hat. Wie das Schicksal manchmal unser Leben formt.
Seitdem arbeiten Gérard und ich zusammen. Er schrieb und schreibt immer noch die Musik zu vielen meiner Chansons. Sein ewiger Freund und Helfershelfer, der Arrangeur François Rauber, war zu unserem großen Glück immer wieder mit von der Partie.
Jetzt müssen wir ohne ihn weitermachen. Wir versuchen es in seinem Sinn.
Auf dem Album Mon fils chante , zu dem Maurice Fanon die Texte und Gérard Jouannest die Musik geschrieben hat, haben manche Lieder einen politischen Ansatz, der mir gefällt. Maurice war ein außergewöhnlicher Mensch, er besaß einen starken, eigenwilligen Charakter. Gemeinsam haben wir uns in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen
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