So bin ich eben - Erinnerungen einer Unbezaehmbaren
schon elf Jahre tot. Es war meine Art, ihm zu sagen, dass er niemals sterben wird.
1954, ein paar Wochen nach der Geburt meiner Tochter, stehe ich zum ersten Mal auf der Bühne des Olympia.
Vom ersten Rang aus feuert Léo Ferré mich an. »Auf geht’s, Juliette!«, skandiert er zusammen mit dem Publikum.
Ich singe »Coin de rue«, ein hübsches Lied, das einen sehnsuchtsvollen Blick zurück auf die Orte der Kindheit wirft. Der Dichter und Sänger Charles Trenet, den alle Franzosen vergöttern, hat es für mich geschrieben, und zwar an einem kleinen Tisch in einem Restaurant.
Im selben Jahr schenkt mir Georges Brassens das »Chanson pour l’Auvergnat«.
Nach einem seiner Konzerte im Olympia besuche ich ihn in der Garderobe, um ihm zu gratulieren. Sehr liebenswürdig fragt er mich, welches Lied mir am meisten gefallen hat. Ohne zu zögern antworte ich: »›Chanson pour l’Auvergnat‹.« Er nimmt seinen Füller, sucht ein Blatt Papier und schreibt langsam und konzentriert den Liedtext auf. Dann gibt er ihn mir: »Nimm ihn, ich gebe ihn dir, sing ihn!«
Das ist genau das, was ich eine Woche später im Bobino machen werde. Ich kann mein Glück nicht fassen.
1961 schrieb er für mich »Le temps passé« . Ein Lied, das von dem Witz und dem Spott lebt, die ich so sehr an ihm liebe.
Dans les comptes d’apothicaire
Vingt ans, c’est un’ somm’ de bonheur
Mes vingts ans sont morts à la guerre
De l’autr’ côté du champ d’honneur
Si j’connus un temps de chien, certes
C’est bien le temps de mes vingt ans.
Wenn ich ein Apotheker wäre,
Wär meine Bilanz mit zwanzig sicher schon millionenschwer.
Doch zog ich damals in den Krieg mit unserem Heere,
Landete aber auf keinem Feld der Ehr’.
Fragt man, ob ich finstre Zeiten kenne, sage ich, gewiss.
Damals, als mit zwanzig Jahren meine Jugend starb.
Eines Tages lädt Georges mich zu seiner Geburtstagsfeier ein. Ich fühle mich geehrt und bin sehr überrascht, als ich ins Restaurant komme. Ich bin nämlich die einzige Frau, die er eingeladen hat. Warum? Ich weiß es bis heute nicht. Aber ich habe eine Vermutung. Zu jener Zeit waren die Frauen den Männern alles andere als gleichgestellt. Frauen waren für Männer keine Gesprächspartner.
Léo Ferré, Jacques Brel … Beide waren ordentliche Machos, zumindest behaupteten sie das. Sie waren leidenschaftliche Liebhaber, waren frei und mochten die Menschen, doch nicht alle … Komischerweise akzeptierten diese mutmaßlichen Machos mich. Eigentlich mochten sie keine eigensinnigen Frauen, sie blieben lieber unter sich – les copains d’abord . Wenn Frauen, dann nur zur Entspannung für den Krieger nach der Schlacht. Mich schienen sie nicht als Frau wahrzunehmen. Vielleicht weil ich Nein sagen kann und weil ich in der Arbeit keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen mache. Professionelles Verhalten und Disziplin, das allein zählt bei der Arbeit. Das Weibliche, das Verführerische, das hebe ich mir für andere Augenblicke auf.
Georges Brassens hat mir 1966 eine große Freude bereitet. Er wollte, dass wir beide im Palais de Chaillot, im damaligen Volkstheater, auftraten. Jeder von uns sang eine Stunde, ich machte den Anfang. Brassens hatte darauf bestanden, dass auf dem Plakat mein Name über seinem stand, beide Namen sollten gleich groß geschrieben werden.
Diese Geschichte hat im Showbiz einigen Staub aufgewirbelt. »Warum macht Brassens das? Was hat er davon?« Wieder einmal hat er sich nicht an die Regeln gehalten, wieder einmal war er der Störenfried. Das hat uns amüsiert, ihn ebenso wie mich.
Brel
Während Georges Brassens auf den großen Bühnen singt und Léo Ferré seinen intellektuellen Zirkel verlässt, startet ein anderer Autor und Sänger seine Karriere: Jacques Brel.
Diese drei wunderbaren Ungetüme, die eine wundersame Poesie produzieren und dafür ihre Freiheit einfordern, haben es mir angetan. Sie sind meine Freunde.
Brel habe ich im Gaumont Palace zum ersten Mal gesehen, einem renommierten Kino beim Place Pigalle. Er war groß und schön. Ja, schön. Er selbst und die meisten anderen Leute sahen das nämlich anders. Aber er besaß eine einzigartige Schönheit, eine Schönheit, die von innen kam.
Damals traten zwischen zwei Vorstellungen Künstler vor der weißen Leinwand auf.
Jacques Brel sang drei Lieder, den Fuß hatte er auf einen Schemel gestellt. Dann verschwand er mit dem kleinen Möbelstück in der Hand; sein Blick war so gleichgültig, dass es wehtat. Hinter
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