So bin ich eben - Erinnerungen einer Unbezaehmbaren
eingemischt. Doch sein Hang zum Alkohol zerstörte ihn.
Wir standen beide der Linken nahe und prangerten den Kapitalismus und Despotismus an; mit dem Lied »Mes théâtres«erinnerte Fanon an die Ermordung Federico García Lorcas durch die Frankisten 1936.
Zwei Jahre werden ins Land gehen, bis die Zeit reif ist für das Album Je vous attends . Henri Gougaud schreibt fast alle Lieder zur Musik von Gérard Jouannest. »L’enfance«von Jacques Brel und»Ta jalousie« von Jean-Loup Dabadie nehme ich ebenfalls auf.
Mit Henri Gougaud verbindet mich eine eigenartige Freundschaft. Wir machen drei Alben miteinander. »Vivre« ist eines seiner schönsten Gedichte, das ich interpretieren durfte.
Serge
In einem Kellerlokal beim Palais-Royal sehe ich ihn zum ersten Mal. Es ist das Jahr 1958.
Er spielt nur Klavier, Michèle Arnaud singt, übrigens sehr gut. Sein Charme ist zum Verrücktwerden, er ähnelt niemandem. Man sagt mir, sein Name sei Serge Gainsbourg.
Einige Zeit später schickt Jacques Canetti diesen jungen Mann mit den großen Ohren zu mir nach Hause. Er ist krankhaft schüchtern.
Ich frage ihn, ob er etwas trinken will, vielleicht einen Whisky … Er sagt Ja.
Er setzt sich. Da Sommer ist, laufe ich wie gewohnt barfuß. Seine Hände sind vor Aufregung so feucht, dass das Kristallglas ihm aus der Hand gleitet und auf dem Parkettboden des Salons zerbricht. Sein Gesicht wird bleich. Ich versuche, ihn zu beruhigen. Seine Augen leuchten, vielleicht zu stark.
Er ist gekommen, um mir das Lied »Accordéon« vorzuschlagen. Ich singe es noch immer.
Wir sehen uns wieder und gehen spazieren. Ich lade ihn zum Abendessen in mein Haus ein. Die Stimmung ist angenehm. Die Champagnerkorken knallen. Ich bin leicht betrunken und fange zu tanzen an, was ich selten tue. Er beobachtet mich dabei. Sein Blick ist eigenartig. Sehr spät geht er nach Hause, ohne ein Wort zu sagen.
Am nächsten Tag klingelt mittags das Telefon. Ich erkenne seine Stimme. »Ich habe etwas für Sie«, sagt er.
Einige Stunden später halte ich den Text von »La javanaise« in den Händen. Ein fantastisches Liebeslied, aber auch ein sehr subtiles Spiel mit Worten, der reine Genuss.
J’avoue j’en ai bavé pas vous, mon amour
Avant d’avoir eu vent de vous, mon amour …
Ich geb’s zu, ich steckte im Dreck, nicht du, mein Schatz.
Doch dann trug der Wind dich mir zu, mein Schatz.
Serge Gainsbourg versteht es, mit seinem Genie zwischen Musik und Text zu jonglieren.
Roda-Gil
Unmöglich, Étienne Roda-Gil hier zu übergehen. Dieses verrückte Genie, hochgebildet obendrein.
Bei einem Treffen im Kulturministerium, bei dem es um die Rettung des Olympia geht, begegne ich ihm und frage ihn natürlich: »Würden Sie ein Lied für mich schreiben?« Er sieht mich an und schweigt. Kurz darauf fängt er mich auf dem Flur ab.
Er war ein Koloss; alle Welt schenkte ihm Zärtlichkeit, alle Welt war um ihn besorgt wie um ein krankes Kind. Seine Auffassungsgabe, seine Kraft und Klugheit haben mich beeindruckt. Er besaß genau das Talent, das man braucht, um Lieder zu schreiben. Er hat wundersame Verse geschrieben, abstrakte Bilder evoziert. Er war ein Maler mit Worten.
Ich hatte mich in seine Arbeit verliebt, ich musste ihn für mich gewinnen. Und dann schrieb er »Mickey travaille«für mich.
Je peins mes lèvres et mes ongles en noir
Pour que Mickey déraille
Et je marche au hasard entre deux rails
Pendant que Mickey travaille.
Lippen und Nägel male ich mir schwarz.
Ich will, dass Mickey sich vergisst.
Planlos spaziere ich dann übers Gleis,
Mickey arbeitet noch, ich weiß.
Die brasilianische Musik dazu komponierte niemand anderer als Caetano Veloso. Allein die schon …
Schnell begriff ich, Étienne ist kein Mensch, wie es ihn oft gibt. Er war über alle Maßen zärtlich und großzügig. Er war ein feiner Mann, nahm Rücksicht auf die anderen. Also war er auch zerbrechlich. Er war beides: redselig und schweigsam.
Oft trank er in der Closerie des Lilas, seinem Stützpunkt, mit dem Schriftsteller Philippe Sollers ein paar Gläschen. Der, auch nicht gerade ungebildet, sagte über ihn: »Ich kenne niemanden, der sich in der Geschichte mehr auskennt. Er blickt wie ein Philosoph auf sie. Manchmal verblüfft er mich mit seinen umfangreichen Kenntnissen über eine bestimmte Phase des Spanischen Bürgerkriegs, sein Herzensthema. Die revolutionäre Freiheitsbewegung, da kennt er sich aus, er wird sie niemals verraten.«
Roda-Gil kam in einem Lager für
Weitere Kostenlose Bücher