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So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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Hände tun weh und brennen, das raue Holz der Sauna hat Splitter in den Handflächen hinterlassen.
    Schau dich um, dann wirst du merken, dass du in der Dunkelheit tatsächlich ein wenig sehen kannst  – unter der Tür dringt ein schwacher Lichtschimmer hindurch, und unter der Decke ist ein kleiner heller Punkt in einem Luftventil. Du bist also nicht ­völlig blind. Du kannst deine Hände wie hellgraue Flächen vor dir sehen.
    Du streckst sie aus und kletterst nach oben. Unter der Decke nimmt die Hitze zu. Plötzlich stoßen deine Hände an etwas, rund und länglich, mit einer glatten Aluminiumoberfläche.
    Eine Bierdose. Im Dunkeln kannst du nicht sehen, was für eine Sorte es ist, aber wenn du die Dose hochnimmst, schwappt es darin. Du spürst, dass sie halb voll sein muss, und wenn du sie zur Nase führst, steigt ein saurer und widerlicher Gestank aus dem kleinen Trinkloch. Irgendein Besucher hat die Dose auf der Bank in der Sauna zurückgelassen, sie steht schon mehrere Tage, vielleicht Wochen, vergessen da.
    Stell die Dose schnell zurück. Setz dich auf die oberste Bank und denk nach. Versuch zu denken. Wie könntest du rauskommen?
    Rechne nicht damit, dass einer von der Viererbande zurückkommt und dir aufmacht, denn das wird keiner tun.
    Rechne auch nicht auf deine Eltern. Die wollten mit deinem ­kleinen Bruder zu irgendeiner Tante fahren. Vielleicht werden sie dich anrufen, aber wenn du nicht rangehst, dann werden sie denken, dass du bei einem Freund bist. Obwohl du gar keine Freunde hast, bei denen du sein könntest. Sie glauben, dass ihr Sohn in der Schule glücklich ist, und du willst sie nicht aus dieser Traumwelt reißen.
    Nein, rechne mal besser damit, dass du hier festsitzt, wahrscheinlich bis Montagmorgen. Sei froh, dass es in der Mensa Fleischbällchen mit Kartoffelbrei gab. Du hast allein an einem Tisch gesessen und zehn Stück gegessen.
    Denn jetzt wird es erst mal ein paar Tage kein Essen geben.
    Noch über eine andere Sache kannst du froh sein: dass du keine Kleider hast. Es war schrecklich, nackt im Duschraum vor den anderen zu stehen, da draußen warst du wie ein blau gefrorenes Schwein, nackt von Der Viererbande in ihren neuen Pullovern und teuren Jeans umringt. Aber hier drinnen vermisst du deine Kleider überhaupt nicht.
    Denn oben auf der Holzbank ist es warm, richtig tierisch heiß. Die Wärme steigt nach oben, und du schwitzt immer mehr.
    Steig von der Bank herunter, und setz dich auf den unteren Absatz mit den Füßen auf dem Boden. Hier ist es ein bisschen kühler.
    Sitz mit gebeugtem Kopf da.
    Denk nicht, warte nur.
    Schließ die Augen.
    Warte weiter.
    Heb den Kopf, und denk darüber nach, ob der Sauerstoff irgendwann ausgehen wird. Es fällt dir schwer zu atmen, liegt das nur an der Hitze? Irgendwann hast du mal von jemandem gelesen, der in einem Holzsarg lebendig begraben wurde und dabei war, an Sauerstoffmangel zu sterben. Eine Sauna ist eine Art Holzsarg.
    Du holst Luft und versuchst zu riechen. Riecht die Luft schlecht? Noch nicht. Es kommt wohl noch frische Luft von dem Türschlitz und aus der Lüftungsklappe oben in der Decke. Nicht viel, aber du hoffst, dass es ausreicht.
    Leg dich der Länge nach auf die Bank.
    Schließ die Augen.
    Denk nicht.
    Warte einfach.
    Warte  ...
    Fahre mit einem Ruck hoch!
    Hast du geschlafen?
    Es ist immer noch dunkel. Wie viel Zeit ist vergangen, seit sie dich eingeschlossen haben? Du hast keine Ahnung. Von deiner Großmutter hast du zum zehnten Geburtstag eine Uhr mit Leuchtziffern geschenkt bekommen, aber die liegt draußen in der Umkleidekabine in deiner Hosentasche.
    Wenn nicht Die Viererbande deine Stiefel und Kleider mitgenommen und in den Teich geschmissen hat, denn dann ist die Uhr auch mit versunken.
    Die Sauna heizt immer noch.
    Spür nur, wie schweißnass du in der Hitze geworden bist. Spür nur, wie unglaublich durstig du jetzt bist.
    Krieche über den Fußboden. Zurück zum Eimer, den die Saunabesucher benutzen, um Wasser auf den Saunaofen zu schütten und den Raum mit heißem Dampf zu füllen.
    Es ist noch ein wenig Wasser auf dem Boden des Eimers  – du bewegst ihn und hörst, wie es schwappt.
    Zögere lange. Genau wie bei der Bierdose hast du keine Ahnung, wie lange das Wasser da gestanden hat. Jeder Entdeckungsreisende weiß, dass abgestandenes Wasser giftig sein kann, aber schließlich

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