Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
Vom Netzwerk:
vielleicht ewig. So sah doch Jans Phantasie aus, nicht wahr? Die letzte Rache an Der Viererbande – eines ihrer Kinder zu stehlen.
    Â»Rössel!«, ruft er. »Halten Sie an!«
    Leute drehen sich nach ihm um, aber das ist ihm egal. Er rennt, so schnell er kann, den Bürgersteig entlang. Da sieht er Den Scheuen langsamer fahren und stehen bleiben, doch nur an einer roten Ampel. Der Volvo blinkt jetzt nach rechts, bald wird er abbiegen und für immer mit Torgnys Sohn verschwinden. Spurlos.
    Jan kann nichts tun und bereut jetzt alles. Er bereut all seine Phantasien. Er schließt die Augen mit einem einzigen Gedanken im Kopf:
    Falsche Wahl.

54
    Jan steuert den Wagen, durch die Windschutzscheibe sieht er auf die Autobahn. Er wird nicht mit Rössel nach Nordbro fahren, wird nicht Torgny treffen und nicht seinen Sohn verschleppen. Das war nur eine Phantasie, der er eine Weile freien Lauf gelassen hat, doch jetzt ist alle Rachsucht verschwunden. Er weiß, dass jede Gewaltphantasie auf die gleiche Weise endet, wenn man sie in die Wirklichkeit entlässt: mit Entsetzen und Reue und Einsamkeit.
    Rössel und er fahren jetzt seit fast einer Stunde auf der Autobahn und haben nun die Vororte von Göteborg erreicht. Rössel hat ihn hierhergeführt, und als Jan sich für einen Weg entschieden hatte, verschwand die Rasierklinge von seinem Hals.
    Â»Ich wusste, dass du diese Möglichkeit wählen würdest«, sagt Rössel.
    Er sitzt immer noch wie ein König auf dem Rücksitz und beugt sich jetzt zu Jan vor. »Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir wollen schließlich in den Wald, um dort ein Grab zu finden. Das habe ich versprochen.«
    Â»Schon«, stimmt Jan zu, »aber was ist danach? Fahren Sie dann ins Krankenhaus zurück?«
    Â»Natürlich.«
    Â»Es gibt doch wohl Psychologen in Sankt Patricia?«, fragt Jan. »Die können Ihnen helfen.«
    Rössel lacht.
    Â»Psychologen«, spuckt er aus, und es klingt, als würde er von Schädlingen sprechen. »Psychologen wollen Antworten haben, die sie aber nicht bekommen. Die fragen nach meiner Kindheit, ob es in meiner Verwandtschaft Geisteskrankheiten gab und so weiter. Die wollen einen guten Grund geliefert bekommen, warum ich im Sommer mit meinem Wohnwagen herumgefahren bin und Jugend­liche aufgesammelt habe, aber es gibt keinen Grund dafür. Die Welt ist nicht begreifbar. Weißt du, warum ich das gemacht habe?«
    Â»Nein«, erwidert Jan, »und ich will es auch nicht ...«
    Â»Ich habe sie natürlich verschleppt, weil ich böse war«, fährt Rössel ungerührt fort. »Weil ich der Sohn des Satans bin und Herr über Leben und Tod sein will. Oder einfach nur, weil die, die ich ausgewählt habe, besoffen und wehrlos waren, und ich war stark und nüchtern.« Er beugt sich noch weiter vor. »Aber vielleicht bin ich ja auch unschuldig, wer weiß? Wer lebt, wird sehen.«
    Jan kann Rössels Gerede kaum ertragen, aber er schaut in den Rückspiegel und fragt: »Waren Sie je in der Gegend um Nordbro? Haben Sie da oben gecampt?«
    Â»Nordbro? Nein, so weit nördlich war ich nicht.«
    Ob Rössel lügt? Wahrscheinlich nicht. Vielleicht ist auch wahr, was Jans Unterbewusstsein einer Phantasiefigur in den Mund gelegt hat, nämlich dass eines der Mitglieder Der Viererbande die beiden anderen getötet hat.
    Die Welt ist nicht begreifbar, sondern nur dunkel. Also fährt Jan weiter, die Hände fest ums Lenkrad geklammert. Aber die Tankanzeige ist auf dem Weg in den roten Bereich, er hat nicht getankt, seit sie losgefahren sind. Neben der Autobahn sieht er ein Hinweisschild auf eine Tankstelle, und er zeigt darauf. »Wir brauchen Benzin.«
    Vom Rücksitz kommt keine Antwort. Als Jan in den Spiegel schaut, sieht er, dass Rössel mit geschlossenen Augen zurückgelehnt dasitzt. Das Rasiermesser liegt neben ihm, und er hat eine Hand auf der Tränengasflasche.
    Jan biegt auf die Tankstelle ein, rollt langsam zwischen ein paar Sattelschleppern hindurch und bleibt an einer Zapfsäule unter kaltem Neonlicht stehen.
    Er nimmt seine Kreditkarte aus der Brieftasche und steigt aus dem Wagen in die Kälte.
    Als er sich bewegt, spürt er die Kabelbinder gegen seinen Bauch drücken. Die Handschellen, die er Carl abgenommen und unter seinem Pullover versteckt hat, sind noch da. Sollte er sie für Rössel benutzen, wenn er die Gelegenheit dazu

Weitere Kostenlose Bücher