So bitterkalt
gerade andere Sorgen als mich.« Rössel schweigt kurz, dann fährt er fort: »Aber das hier meine ich, die Wahlmöglichkeiten der StraÃe. Ich will hier drauÃen Sachen machen. Bücher schreiben und Sünden bekennen. Ich habe versprochen zu zeigen, wo ein verschwundener Junge versteckt ist, das weiÃt du, nicht wahr? Das wäre doch eine gute Sache, was?«
»Schon«, bestätigt Jan. »Das wäre gut.«
»Oder ...«, fährt Rössel fort, »oder wir machen andere Dinge. Ãber die niemand reden will. Solche Dinge, an die du unausgesetzt denkst.«
Jans Mund ist trocken, er hört auf die sanfte Stimme und spürt, wie Rössels Worte in ihn hineinkriechen. Doch schlieÃlich wendet er den Kopf zum Rücksitz.
»Sie kennen mich nicht.«
»Doch, das tue ich. Ich kenne dich. Du hast mir alles erzählt. Und das ist gut. Es ist schön, Geheimnisse loszuwerden.«
»Ich habe nicht ...«
Doch Rössel unterbricht ihn: »Du musst dich jetzt entscheiden.«
»Wofür entscheiden?«
»Nun, du willst doch Dinge machen, oder?«
»Welche Dinge?«
»Du willst in Phantasien eintauchen«, erklärt Rössel. Er zeigt auf den Schutzengel auf dem Beifahrersitz. »Ich habe in dem Ding da deine Träume gehört. Als du klein warst, hat dir jemand eine tiefe Wunde geschlagen, und seitdem träumst du von Rache.«
Jan blickt die leere StraÃe entlang und hört Rössel hinter sich.
»Wenn du zwischen Gut und Böse wählen könntest, eine Familie zu retten oder diese Wunde zu rächen, was würdest du wählen?«
Jan antwortet nicht. Das Auto kommt ihm jetzt sehr kalt vor, und die Dunkelheit bedrängt ihn.
»Es ist die Gelegenheit, die den Rächer macht«, fährt RösÂsel fort. »Doch bevor sich die Gelegenheit ergibt, braucht es Phantasien wie die deinen.«
»Nein.«
»Doch. Du träumst davon, jemanden einzusperren. Einen Jungen einzusperren.«
Jan schüttelt rasch den Kopf, aber er erwidert nichts.
Die Dunkelheit ist allumfassend, und die StraÃe und die Nacht locken.
»Keinen Jungen«, sagt er.
»Doch«, erwidert Rössel. »Diese Phantasie wird wie ein Film in deinem Kopf abgespult, nicht wahr? Wir haben alle unsere Lieblingsphantasien.«
Jan nickt, er weià das.
»Phantasien sind wie Drogen«, fährt Rössel mit leiser Stimme fort. »Phantasien sind eine Droge. Je mehr man phantasiert, desto stärker werden sie. Man hat Lust, jemandem wehzutun. Ein Ritual zu vollziehen. Man wird diese Gedanken niemals los, wenn man nicht etwas dagegen unternimmt.«
Rössel beugt sich wieder zu ihm vor.
»Was würdest du wählen?«, fragt er. »Würdest du Gutes oder Böses tun?«
Wählen?
Jan senkt den Blick. »Ich kann nicht wählen.«
»Du musst aber«, befiehlt Rössel. »Willst du versöhnen oder rächen? Schau auf die StraÃe, gleich teilt sich der Weg. Du musst jetzt wählen.«
Jan blinzelt.
Er schaut auf die dunkle StraÃe. Er schlieÃt die Augen.
Wähle jetzt, denkt er.
53
Jan muss das Gaspedal kaum herunterdrücken und hält das Lenkrad ganz locker, der Volvo gehorcht ihm auch so. Er gleitet auf einer schwarzen StraÃe dahin. Weg von Sankt Psycho. Auf breiten StraÃen gen Osten.
Er und Der Scheue fahren an schwedischen Ortschaften vorbei, die wie ein Kinderreim klingen: Vara, Skara, Hova, Kumla und Arboga. Rechts und links von der LandstraÃe steht dichter Wald.
Während der Fahrt berichtet Jan Dem Scheuen von der Rache an Der Viererbande. Er meint jetzt zu wissen, wie das damals vor sich ging.
Es war ein Frühsommer vor fünfzehn Jahren, du hattest deinen Campingwagen rausgeholt und fuhrst durch die Wälder und hast nach einem geeigneten Platz gesucht, um ihn aufzustellen. Wie immer sollte es ein versteckter Platz sein. Und plötzlich kamst du an einen See, tief im Wald. Dort war es menschenleer, nur auf der anderen Seite des Sees stand ein kleines Zelt.
Du hast den Campingwagen aufgestellt, eine Wanderung unternommen, um die Umgebung kennenzulernen, und dich dann in deinen Wagen gesetzt. Vielleicht hast du, während die Abenddämmerung sich herabsenkte, einiges getrunken. Mehr und mehr getrunken, und irgendwann warst du neugierig, wer eigentlich in dem Zelt da wohnte. Da bist du hingegangen.
Wie sich herausstellte, feierten drei Jungen den
Weitere Kostenlose Bücher