So bitterkalt
vielleicht versuchen, nur um zu sehen, was dann passiert?
Nichts . Nichts wird passieren, auÃer dass er allein nach Hause torkeln und sich am nächsten Morgen schlecht fühlen wird. In gewisser Weise kann man Menschen, die sich einfach zusaufen und nicht an die Folgen denken, bewundern. Jan konnte das nie. Er behält die Kontrolle und endet niemals bewusstlos in einem Swimmingpool wie ein Rockstar. Oder in der Klapse â wie Rami.
Während er an Rami denkt, sieht er sich im Lokal um und mustert die Leute. Jan erinnert sich an das, was Lilian noch über Bills Bar gesagt hat: Da sind auch oft Leute vom Patricia . Wächter und Pfleger, vermutet er.
Jan nippt weiter an seinem Bier. Plötzlich nimmt er Parfümgeruch in der Luft wahr und merkt, dass zwei Mädchen um die zwanzig neben ihm stehen.
Groà und schön, wie er sieht. Jetzt sollte er sich erwachsen zeigen, doch er fühlt sich wie ein Halbwüchsiger.
Die zu seiner Rechten riecht nach Rosenblätterparfüm. Sie trägt einen schwarzen Pullover, hat langes braunes Haar und trinkt einen zitronengelben Drink. Ihre Blicke begegnen sich, doch sie sieht schnell weg.
Die zur Linken hat sich mit Mandarinenparfüm eingesprüht und trägt eine gelbe Bluse und einen blanken, goldfarbenen Blazer. Eine Goldmarie. Sie hat grüne Augen und trinkt Birnencidre. Jan sieht verstohlen zu ihr hin, und sie lächelt ihn tatsächlich ein wenig an. Warum wohl?
Sie schaut nicht weg, also beugt er sich zu ihr hinüber und ruft über die Musik hinweg: »Das ist mein erster Abend hier!«
»Was?«, ruft sie zurück.
Jan rückt ein wenig näher.
»Mein erster Abend.«
»Hier im Bills?«, fragt sie. »Oder hier in der Stadt?«
»Sowohl als auch. Ich bin vor ein paar Tagen hergezogen! Ich kenne niemanden hier ...«
»Das wird sich schnell ändern!«, ruft sie. »Du wirst es hier superspannend haben. Massenhaft Ãberraschungen!«
»Glaubst du?«
»Klar, ich kenne mich mit so was aus. Viel Glück!«
Und dann wendet sie rasch um und verschwindet im Gedränge wie ein Reh im Wald.
Das warâs. Ein kurzes Gespräch, und Jan ist es wie immer schwergefallen, mit Unbekannten zu sprechen, doch jetzt geht es ihm besser. Die Leute hier in Bills Bar sind freundlich.
Nimm weiter Kontakt auf , ermahnt ihn eine innere Stimme. Er bestellt noch ein Bier und geht tiefer in das Lokal hinein, weg von der Musik.
Die meisten Tische sind gut besetzt. Es gibt keinen Platz für ihn zwischen anderen.
Er setzt sich an einen leeren Tisch, trinkt sein Bier und starrt vor sich hin.
Glückwunsch, jetzt beginnt dein neues Leben. Doch das hat er natürlich schon öfter gedacht. Man kann die Stelle wechseln und in eine neue Stadt ziehen, und dennoch verändert sich nichts. Man sitzt im selben Körper fest, man hat dieselben Schlacken im Blut, und dieselben Erinnerungen mahlen im Kopf.
»Hallo, Jan!«
Vor ihm steht eine Frau â er sieht hoch, braucht aber ein paar Sekunden, ehe er sie erkennt. Es ist Lilian von der »Lichtung«, mit einer Bierflasche in der Hand.
In der Vorschule hat sie die letzten Tage müde und erschöpft ausgesehen, doch jetzt scheint sie voller Energie. Sie trägt einen schwarzen, tief ausgeschnittenen Pullover, und ihr Blick aus den geschminkten Augen ist glänzend, ja fast ein wenig glitzernd. Die Flasche, die sie in der Hand hält, ist sicher nicht ihre erste an diesem Abend.
»Gefällt dir meine Wochenendtätowierung?«, fragt sie und zeigt auf ihre Wange.
Jan sieht näher hin und erkennt, dass sie sich etwas ins Gesicht gemalt hat: eine lange, schwarze Schlange, die sich zum Ohr hinaufringelt.
»Natürlich.«
»Keine Angst â sie ist nicht giftig!« Lilian lacht heiser und setzt sich unaufgefordert zu ihm an den Tisch. »Dann hast du also schon den besten Treffpunkt der Stadt entdeckt!« Sie nimmt einen groÃen Schluck Bier. »Das ging ja schnell.«
»Du hast mir schlieÃlich den Tipp gegeben«, sagt Jan. »Bist du allein hier?«
Lilian schüttelt den Kopf. »Ich war mit ein paar Kumpeln da, aber die sind nach Hause gegangen, als The Bohemos angefangen haben zu spielen.« Sie deutet mit einem Nicken zu der Rockband neben der Bar hinüber. »Sie haben empfindliche Ohren.«
»Kumpel von der Arbeit?«, fragt Jan.
»Bitte? Wer sollte das denn sein?« Lilian
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