So bitterkalt
sind, wie viele Menschen glauben.
»Delfine jagen in Gruppen und töten oft Seehunde und andere Tiere«, hört er den Sprecher sagen.
Nach einer halben Stunde schaltet Jan den Fernseher ab. Es wird still â doch nicht mucksmäuschenstill. Er kann die dumpf dröhnende Musik von der Party nebenan hören, eine Eingangstür, die knallend zuschlägt, lautes Lachen und Stimmen.
Jan erwägt, an seiner Comicserie über Den Scheuen weiterzuzeichnen, um damit endlich mal zum Ende zu kommen. Sein Held muss jetzt bald die Viererbande besiegen. Sie auslöschen.
Das Fest bei den Nachbarn geht weiter, das Lachen wird lauter. Am Ende schaltet Jan, um nicht mehr zuhören zu müssen, die Stereoanlage ein und sieht aus dem Fenster.
Ich sollte mir ein Hobby zulegen , denkt er. Oder einen Abendkurs besuchen.
Aber was soll er machen? Französisch lernen? Ukulele spielen?
Nein. Er schaltet die Anlage aus, zieht, um erwachsen zu wirken, ein schwarzes Jackett über und verlässt das Haus.
Er tritt in die Kälte hinaus und sieht, dass jetzt die StraÃenlaternen eingeschaltet sind. Es ist nach acht Uhr. Hier drauÃen hört man noch mehr Musik, die zwischen den Häusern widerhallt. Es ist der Partyabend für alle, die Freunde haben.
Komm doch mal zu Bills Bar , hatte Lilian gesagt. Ich bin eigentlich immer dort .
Er betritt den Bürgersteig und beginnt Richtung Stadtzentrum zu gehen. Er möchte seine neue Heimatstadt entdecken, aber was gibt es da zu sehen? Valla ist eine mittelgroÃe schwedische Stadt ohne besondere Ãberraschungen. Er kommt an einer Pizzeria vorbei, an einer Kirche der Pfingstbewegung, an einem Möbelladen. Vor der Pizzeria kann er ein paar Jugendliche an einem Tisch herumhängen sehen, aber alle Geschäfte sind geschlossen und dunkel.
Ãber die HauptstraÃe führt eine FuÃgängerbrücke, und danach ist Jan schon fast unten am Hafen. Er würde gern zum Kai gehen und die Abendbrise vom schwarzen Ozean her spüren, aber das Hafengebiet ist mit Gittertoren und einem Zaun abgesperrt, der fast so hoch ist wie die Mauer um Sankt Psycho.
Nein, nicht Sankt Psycho. Sankt Patricia .
Jan muss aufhören, den Spitznamen des Krankenhauses zu verwenden, sonst wird er ihn eines Tages noch versehentlich laut aussprechen.
Hinter dem Zaun gibt es ein paar kleine Gassen, die man den Sperrbezirk der Stadt nennen könnte, aber sie haben nichts Abenteuerliches oder Romantisches. Hier gibt es nur von rissigem Asphalt umgebene niedrige Fabrikhallen.
Doch vor einem Holzhaus stehen mehrere Autos, und über dem Eingang heiÃt ein leuchtendes rotes Schild mit dem Text BILLS BAR willkommen.
Jan bleibt vor dem Schild stehen. Bars zu besuchen ist kein Hobby. Doch selbst die einsamsten Wesen sind in einer Bar willkommen, solange sie sich benehmen, und deshalb zieht er schlieÃlich die schwere Holztür auf und geht hinein.
Drinnen ist es dunkel und heiÃ, dröhnende Rockmusik und Stimmengewirr, Schatten, die sich umeinander herumbewegen, das Gefühl, die Situation könnte jederzeit eskalieren. Bars sind eine Art Spielzimmer, nur für Erwachsene.
Alle braven Kinder schlafen.
Jan knöpft das Jackett auf und sieht sich um. Er muss an eine Zeile aus einem Lied von Roxy Music denken: »LoneÂliness is a crowded room.« Er kann sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal allein in eine Bar gegangen ist, denn das Gefühl, AuÃenseiter zu sein, ist in einem Raum voller Fremder, die zusammenstehen und miteinander reden und lachen, immer überwältigend. In Bills Bar ist es nicht anders. Jan ist nicht so naiv zu glauben, dass alle anderen hier die besten Freunde sind, doch es hat zumindest den Anschein.
Er muss sich zwischen schweren Körpern, die sich nicht wegbewegen wollen, zur Theke durchkämpfen. Viele haben sich ganz hinten in der Bar vor einer kleinen Bühne versammelt, wo eine lokale Rockband spielt.
Jan reicht einen Geldschein über den Tresen.
»Ein Leichtbier, bitte!«
Der klassische Trick für eine einsame Seele ist es, mit dem Barmann zu reden, aber dieser hier hat Jans Geld in Windeseile weggezaubert und ihm ein Glas auf den Tresen gestellt.
Jan trinkt ein paar Schluck Bier und fühlt sich weniger allein. Jetzt hat er Gesellschaft, er hat das Glas, den besten Freund des Trinkers. Doch er hat bisher fast nie Alkohol getrunken, und er war noch nie betrunken â sollte er das heute Abend
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