So bitterkalt
verzieht das Gesicht und trinkt von ihrem Bier. »Marie-Louise vielleicht?«
»Kommt sie nie hierher?«
»Nein, Marie-Louise doch nicht. Die bleibt zu Hause.«
»Hat sie Kinder?«
»Nee, nur einen Mann und einen Hund. Aber sie ist doch schlieÃlich die Ãbermutter von allen, oder? Sie ist die Mutter aller Kinder und unsere auch. Ganz prächtig. Ich glaube, die hat in ihrem ganzen Leben noch keinen einzigen fiesen Gedanken gedacht.«
Jan will nicht darüber nachdenken, was Leute denken. »Und Andreas?«, fragt er. »Geht der mal aus?«
»Andreas? Nicht so oft. Er hat ein Haus und einen Garten, um die er sich kümmern muss, und ein kleines Frauchen. Die beiden sind wie ein altes Ehepaar.«
»Okay«, meint Jan. »Aber Hanna kommt doch wohl her, oder?«
»Manchmal.« Lilian senkt den Blick. »Mit der komme ich in der Tagesstätte am besten aus. Sie ist meine Freundin, sozusagen.«
Sie schweigen. Die Musik ist auch verstummt â The Bohemos scheinen für heute eingepackt zu haben.
»Das heiÃt, Hanna ist in Ordnung«, meint Jan schlieÃlich.
»Klar«, antwortet Lilian schnell. »Sie ist nett. Auch wenn sie erst sechsundzwanzig und ein bisschen abgedreht ist.«
»Wie abgedreht?«
»Nun, auf verschiedene Weise«, erwidert Lilian. »Hanna kann so still und zurückgezogen wirken, aber sie hat ein spannendes Privatleben.«
»Du meinst mit unterschiedlichen Typen?«
Lilian presst die Lippen zusammen.
»Ich tratsche nicht«, sagt sie dann.
»Aber sie ist manchmal hier«, hakt Jan nach, »in Bills Bar?«
»Manchmal kommt sie mit mir hierher, aber den Medina Palace mag sie lieber.«
»Medina Palace?«
»Das ist der groÃe Nachtclub von Valla. Fast so luxuriös wie Sankt Patricia.«
»Findest du Sankt Patricia luxuriös?«
»Absolut. Das ist das reinste Luxushotel.«
Jan sieht sie verständnislos an.
»Hör mal, jedes Zimmer in Sankt Psycho kostet viertausend die Nacht«, erklärt Lilian rasch, »viertausend Steine! Natürlich nicht für den, der dort wohnt, aber für uns Steuerzahler. Ãrzte, Wachleute, Kameras, Medikamente â all das kostet! Die Patienten wissen gar nicht, wie gut sie es haben.«
»Und du und ich, wir arbeiten da, direkt neben dem Luxushotel.«
»Genau«, sagte Lilian und trinkt, »Prost darauf.«
Jan unterhält sich noch eine Viertelstunde mit ihr, dann reckt er sich und täuscht ein kleines Gähnen vor.
»Jetzt gehe ich mal nach Hause.«
»Noch ein letztes Bier?«, fragt Lilian und blinzelt träge.
Jan schüttelt bedächtig den Kopf.
»Heute nicht.«
Jetzt richtig zu versacken wäre völlig falsch, denn er soll schlieÃlich in der nächsten Woche mehr Verantwortung übernehmen. Am Mittwoch beginnt sein fester Abenddienst in der Vorschule, da wird er zum ersten Mal mit den Kindern ganz allein sein.
12
»Wie geht es dir, Jan?«, fragt Marie-Louise. »Magst du uns ein bisschen davon erzählen?«
»Ja, klar. Aber es gibt eigentlich nicht so viel zu erzählen. Mir geht es gut.«
»Ist das alles? Und du hast keine Schwierigkeiten, dich ins Team einzufinden?«
»Nein.« Jan blickt in die Runde am Tisch, zu Andreas, Hanna und Lilian. »Ãberhaupt keine Schwierigkeiten.«
»Das freut uns sehr, Jan.«
Jan nimmt zum ersten Mal an der »Mir-geht-es-gut-Stunde« teil. Alle sehen ihn an, schlieÃlich ist er neu im Team, aber ihm fällt es schwer, entspannt zu sein und gleichzeitig zu reden.
»Ich habe hier eine wichtige Aufgabe«, sagt er, »das spüre ich.«
Da hören sie auf, ihn anzustarren, und wenige Minuten später ist die »Mir-geht-es-gut-Stunde« vorbei. Gott sei Dank.
Kurz vor Beginn der Lesestunde entdeckt Jan ein Lebenszeichen von Alice Rami. Falls er sich nicht irrt.
Die kleine Josefine trägt dazu bei. Sie war eine von denen, die die Maus im Wald gequält haben, aber Jan versucht, dieses Ereignis zu vergessen, ebenso wie die beunruhigenden Worte von Leo über seinen Vater. Und heute verhält sich Josefine wie ein ganz normales Mädchen: Als Jan ins Kissenzimmer kommt, um ein Buch zu holen, spielt sie dort mit einer Puppe.
»Hallo, Josefine«, sagt er. »Gibt es eine Geschichte, die du heute gern hören möchtest?«
Sie sieht hoch und nickt ein paarmal. »Lies von der
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