So fern wie ein Traum
die Box und legte beide Hände auf ihren runden Bauch. Wie ein werdender Vater war er von freudiger Erwartung und Sorge um die Stute erfüllt. Sie war sehr klein, mit einem Stockmaß von kaum einem Meter vierzig, und er fürchtete, dass die Geburt vielleicht nicht ganz so einfach würde.
Darling mochte es, wenn man ihr den Bauch massierte, und so blähte sie voller Freude über Michaels Tun die Nüstern. »Du bist wirklich wunderschön.« Er umfasste ihren Kopf so, wie sonst ein Mann das Gesicht seiner Geliebten hielt. »Du bist das Schönste, was ich je besessen habe«, sagte er.
Froh über die Aufmerksamkeit, die er ihr widmete, schnaubte sie abermals fröhlich auf, senkte dann den Kopf und stieß ihn fordernd an. Lachend zog er einen Apfel aus der Tasche hervor – er wusste, dass sie Äpfel bevorzugte. »Bitte sehr, Darling. Schließlich isst du im Moment für zwei.«
Plötzlich wurden draußen Stimmen laut – jung und beinahe piepsend vor Aufregung –, also trat er aus der Box.
»Mama hat gesagt, wir sollen ihn nicht belästigen.«
»Wir werden ihn ja auch nicht belästigen. Wir gucken uns schließlich nur die Pferde an. Nun komm schon, Kayla. Oder willst du die Pferde etwa nicht sehen?«
»Doch, aber… was, wenn er da ist? Was, wenn er uns anbrüllt?«
»Dann rennen wir eben einfach weg, aber vorher gucken wir uns noch die Pferde an.«
Michael sann darüber nach, ob ihn Laura ihren Kindern wohl als menschenfressendes Ungeheuer oder als kauzigen Einsiedler beschrieben hatte und trat verstohlen grinsend aus dem Dunkel der Stallungen ins helle Sonnenlicht hinaus. Ein Dichter hätte vielleicht gesagt, dass Michael mit einem Mal zwei Engeln gegenüberstand.
Sie hingegen dachten, sie sähen geradewegs dem Teufel ins Gesicht. Er war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, sein hartes, wenn auch attraktives Gesicht mit den dunklen Stoppeln reglos den Kindern zugewandt. Seine Haare reichten beinahe bis zu seinen Schultern und um die Stirn trug er ein schwarzes Tuch, wie ein Indianer oder ein wilder Pirat.
Er sah riesig, düster und gefährlich aus.
Mit klopfendem Herzen legte die erschrockene Ali schützend eine Hand auf Kaylas Schulter. »Wir leben hier«, stammelte sie. »Wir dürfen hier herumlaufen.«
Die Versuchung, sich zu verstellen, war einfach zu groß. »Ach ja? Tja, ich lebe hier. Und ich mag es nicht, wenn man unbefugt das Gelände betritt. Ihr seid nicht zufällig zwei kleine Pferdediebe, oder etwa doch? Pferdediebe müssen wir nämlich auf der Stelle aufhängen.«
Schockiert, entsetzt, vollkommen außer sich schüttelte Ali stumm den Kopf. Kayla jedoch trat plötzlich unerschrocken vor.
»Sie haben schöne Augen«, sagte sie, und als sie lächelte, wurden zwei hübsche Grübchen sichtbar. »Sind Sie wirklich ein nichtsnutziger Herumtreiber? Das hat Annie über Sie gesagt.«
Ali brachte nur noch flüsternd den Namen ihrer Schwester heraus.
Ah, dachte er, Ann Sullivan schien in ihm immer noch den jugendlichen Tunichtgut zu sehen. »Das war ich früher mal. Aber inzwischen habe ich es aufgegeben.« Himmel, das Kind war wirklich zauberhaft. Ein wahrer Herzensbrecher, dachte er. »Dein Name ist Kayla, und du hast die gleichen Augen wie deine Mom.«
»Uh-huh, und das ist Ali. Sie ist zehn. Ich bin siebeneinhalb, und ich habe einen Zahn verloren.« Sie grinste und zeigte ihm stolz die Lücke, wo zuvor ein Schneidezahn gewesen war.
»Toll. Hast du ihn wiedergefunden?«
Sie kicherte vergnügt. »Nein, den hat die Zahnfee mitgenommen«, sagte sie. »Sie hat ihn mit in den Himmel genommen und einen Stern daraus gemacht. Haben Sie noch alle Ihre Zähne?«
»Als ich zum letzten Mal nachgeguckt habe, waren sie noch alle da.«
»Sie sind Mr. Fury. Mama sagt, dass wir Sie so nennen sollen. Der Name gefällt mir, klingt wie der von einer Figur aus einem Buch.«
»Wie der von einem Schurken?«, fragte er.
»Vielleicht.« Sie zwinkerte ihm zu. »Dürfen wir uns Ihre Pferde ansehen, Mr. Fury? Wir stehlen sie bestimmt nicht, und wir tun ihnen auch ganz bestimmt nicht weh.«
»Ich glaube, sie würden euch beide wirklich gerne kennen lernen«, sagte er und bot Kayla eine Hand, die sie ohne zu zögern ergriff. »Komm, Ali«, sagte er beiläufig. »Ich werde euch schon nicht anbrüllen, solange ihr es nicht herausfordert.«
Ali biss sich auf die Lippe, aber trotzdem folgte sie ihm in den Stall. »Oh!« Sie machte einen Satz zurück, doch dann kicherte sie über ihre Schreckhaftigkeit, als Max seinen
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