So fern wie ein Traum
dreißig Jahre alt bin, Annie. Er hat mich begehrt. Ich habe ihn begehrt. Und in meinem ganzen Leben – in meinem ganzen Leben – hat nie jemand derartige Gefühle in mir geweckt wie er.«
»Ein kurzer Augenblick der Leidenschaft für…«
»Ein kurzer Augenblick der Leidenschaft.« Laura nickte mit dem Kopf. Falls das alles wäre, so schwor sie sich, dann wäre sie allein dafür dankbar bis an ihr Lebensende. »Ich war zehn Jahre lang verheiratet und während all der Zeit habe ich nie erfahren, was es heißt, Erfüllung zu finden oder, so hoffe ich, Erfüllung zu geben wie in der letzten Nacht. Und falls Sie damit nicht einverstanden sind, tut mir das Leid.«
Anns Miene erstarrte. »Es steht mir nicht zu, mit Ihrem Handeln nicht einverstanden zu sein.«
»Oh, jetzt spielen Sie nicht die würdevoll-distanzierte Angestellte, Annie, nein? Dafür ist es bereits seit vielen Jahren zu spät.« Seufzend legte sie eine Hand auf die Finger, mit denen Ann das Treppengeländer umklammert hielt. »Ich weiß, wie besorgt Sie um mich sind. Ich weiß, dass Sie alles, was Sie sagen, aus Sorge und Liebe vorbringen, aber selbst das kann meine Gefühle oder meine Bedürfnisse nicht ändern, fürchte ich.«
»Und Sie denken, dass Michael Fury diese Bedürfnisse befriedigt?«, fragte Ann.
»Nein. Ich denke nicht, sondern ich weiß, dass es so ist. Ich weiß noch nicht, wie ich damit umgehen oder wie es weitergehen soll, aber ich weiß, dass ich noch möglichst viele leidenschaftliche Augenblicke wie letzte Nacht zu erleben beabsichtige.«
»Egal zu welchem Preis?«
»Ja. Ein einziges Mal in meinem Leben ist mir der Preis egal. Ich muss duschen.« Sie stieg die erste Treppenstufe hinauf und drehte sich dann noch einmal um. »Ich möchte nicht, dass Sie Michael in dieser Angelegenheit belästigen, Annie. Das steht weder Ihnen noch sonst irgendeinem Menschen zu.«
Ann nickte und hielt den Kopf gesenkt, bis sie hörte, dass Laura die Tür zu ihrem Badezimmer schloss. Vielleicht stand es ihr nicht zu, mit Michael Fury zu sprechen, dachte sie. Aber sie kannte ihre Pflicht, und sie hatte ihre Pflicht noch nie vernachlässigt.
Ohne zu zögern ging sie durch die Eingangshalle in die Bibliothek. Der Anruf in Frankreich würde schnell erledigt sein. Und dann würde man weitersehen, dachte sie, während sie grübelnd aus dem Fenster sah.
»Bitte verbinden Sie mich mit Mr. oder Mrs. Templeton. Hier ist Ann Sullivan, ihre Haushälterin aus Monterey.«
»Im Stall. Im Heu. Die ganze Nacht?« In der kleinen Küche des
Schönen Scheins
wirbelte Kate auf ihrem Hocker herum und starrte Laura mit großen Augen an. Die zehnminütige Nachmittagspause verlief wesentlich interessanter als sie gedacht hätte. »Du?«
»Warum schockiert dich das so?« Statt ihren Tee zu trinken trommelte Laura mit den Fingern auf der Anrichte herum. »Ich bin schließlich genauso ein Mensch wie Margo und du und nicht irgendeine leblose Aufziehpuppe.«
»Himmel, für mich klingt es, als wärst du ziemlich aufgedreht. Und ich bin nicht unbedingt geschockt. Ich meine, ich hätte nicht gedacht, dass es deinem Stil entsprechen würde, im Heu herumzutollen. Aber bitte, jedem das Seine.« Grinsend schob sie sich einen der Kekse in den Mund, die Laura aus der Bäckerei geholt hatte. »Und anscheinend hat es ja durchaus funktioniert.«
Ein wenig besänftigt griff Laura ebenfalls nach einem Keks. »Ich war das reinste Tier.«
Schnaubend riss Kate einen von Lauras Armen in die Luft. »Weiter so, Champion. Und jetzt Einzelheiten bitte.«
»Ich kann nicht. Tja, vielleicht. Nein.« Ihre Augen funkelten wie die von Kate. »Nein.«
»Nun komm schon, nur ein einziges, winziges Detail. Ein flüchtiger Blick auf Lauras wilde Nacht.«
Lachend schüttelte Laura den Kopf. Weiß Gott, sie könnte Kate und Margo einfach alles sagen, wusste sie. Und in letzter Zeit hatte sie kaum je etwas ähnlich Wunderbares zu erzählen gehabt. Mit verträumten Bewegungen strich sie die Kekskrümel von der Anrichte in ihre Hand.
»Er hat mir die Kleider vom Leib gerissen.«
»Bildlich oder wortwörtlich, wenn ich fragen darf?«
»Wortwörtlich. Hat sie einfach in Fetzen gerissen. Einfach…« Sie presste eine Hand auf ihren Bauch. »Oh Gott.«
»Oh Gott.« Kate fächerte sich Luft zu, als wäre ihr plötzlich viel zu heiß.
»So.« Laura stand von ihrem Hocker auf, kippte den kalten Tee in die Spüle und sah die Freundin an. »Ich kann es einfach nicht. Wenn ich so rede, komme ich mir vor wie
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