So fern wie ein Traum
»Verdammt, aber es gelingt mir einfach nicht.«
Michael griff nach einer Bürste und strich Zip über das Fell. »Wie viel wiegst du? Achtzig?«
»Einundachtzig«, kam die geistesabwesende Antwort.
»Der braune Wallach mit den beiden weißen Socken? Er wäre ideal für jemanden mit deinem Gewicht.«
Byron sah sich den Wallach an, bemerkte die hübsche Fellzeichnung und die strahlend weiße Blesse auf der Stirn. »Ein wirklich hübscher Kerl.«
»Gutes Reitpferd, wohlerzogen, aber nicht empfindlich. Braucht eine feste Hand. Die richtige Hand.« Michael bohrte sich die Zunge in die Backe, während er Zip weiterstriegelte. »Weil du mit Josh befreundet und mit einem der mir liebsten Menschen verheiratet bist, mache ich dir einen guten Preis.«
»Ich bin nicht als Käufer hier.«
»Nein?« Michael beugte sich gemächlich vor und hob einen von Zips Hufen an. »Als was denn dann?«
»Ich war gerade mehr oder weniger in der Nähe, und da dachte ich, ich frage dich, ob du nicht vielleicht Samstag Abend auf eine Partie Poker zu uns kommen willst.«
»Für gewöhnlich sage ich bei solchen Einladungen nicht nein.« Dann jedoch sah er Byron mit zusammengekniffenen Augen an. »Das wird doch wohl nicht einer von diesen netten Abenden, an denen einen die Frauen ständig fragen, ob ein Straight besser ist als ein Flush?«
»Für diesen Satz würde Kate dir einen auf die Mütze geben.« Byron grinste Michael an. »Nein, es ist hübsch sexistisch, ohne Frauen.«
»Dann bin ich dabei. Vielen Dank.«
»Vielleicht gewinne ich ja den Wallach von dir.«
»Träum weiter, De Witt.«
»Wirklich ein hübscher Kerl«, murmelte Byron so leise, dass Michael ihn beinahe nicht verstand. »Risthöhe etwa ein Meter sechzig, oder?«
Michael unterdrückte ein Grinsen, während er weiter an Zips Huf herumkratzte. »Ungefähr. Gerade vier geworden. Sein Vater war ein super Traber, seine Mutter ein dunkeläugiges Flittchen aus Baton Rouge.«
»Scheiße.« Byron wusste, dass es um ihn geschehen war. »Nimmst du Tiere auch in Pension?«
»Ja. Übergangsweise hier. Solange, bis meine eigenen Ställe fertig sind. Ich hoffe, dass ich in ein paar Wochen mit dem Bau beginnen kann.«
»Lass mich den Guten mal etwas genauer ansehen.« In seinem eleganten Maßanzug und seinen teuren italienischen Schuhen kletterte Byron behände über den Zaun.
»Ich habe gehört, dass ihr Jungs aus den Südstaaten ausnahmslos Falschspieler und Pferdediebe seid«, stellte Michael, während er neben Byron in Richtung Wallach schlenderte, unbekümmert fest.
»Da hast du vollkommen richtig gehört.«
Wie lange würde sie ihn noch warten lassen? Michael stapfte in seiner kleinen Wohnung auf und ab, blickte auf die Weinflasche, die auf der schmalen Anrichte stand, und kratzte sich am Kopf. Er hatte tatsächlich eine Flasche Wein gekauft. Nicht seine übliche Art, aber er hatte sich gedacht, dass Sex in einem Pferdestall sicher auch nicht Lauras Stil entsprach. Das Mindeste, was er ihr also anbieten könnte, wäre ein zivilisierter Drink. Ehe er ihr abermals die Kleider vom Leib riss.
Was er ganz sicher tun würde.
Falls sie jemals käme.
Natürlich käme sie. Das hatte er sich im Verlauf der letzten halben Stunde mindestens ein Dutzend Mal gesagt. So, wie es letzte Nacht zwischen ihnen beiden gewesen war, musste sie ebenso versessen auf eine Wiederholung sein wie er. Sicher hatte sie während des Tages zahllose Male an ihn gedacht, genauso wie er an sie.
So, wie er hätte schwören können, dass er mit jedem seiner Atemzüge ihren Duft schmeckte. So, wie er sich dabei überrascht hatte, wie er immer wieder in eine Art hirnloser Trance verfallen war, weil er ihr Gesicht erblickte, ihre Stimme hörte oder…
Weil er sie begehrte. Einfach begehrte, dachte er.
Wann hatte er je zuvor etwas derart begehrt? Früher einmal hatte er flüchten wollen und es getan. Er hatte das Abenteuer, die Gefahr, das Risiko gesucht und es gefunden. Und als er Frieden wollte, ein Leben, das ihn mit einem gewissen Maß an Stolz erfüllen würde, hatte er sich aufgemacht und auch das erreicht.
Doch ob er auch Laura bekommen würde? Oder würde sie ihm nicht vielmehr seidig durch die Finger gleiten, ehe er sie richtig zu fassen bekäme oder ehe er überhaupt nur ergründet hätte, was in aller Welt er mit ihr tun sollte?
Sie war mehrere Nummern zu groß für ihn, und diese Erkenntnis hatte ihn seit jeher vehement gestört. Hatte den Entschluss in ihm reifen lassen, sie herabzuziehen
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