So finster die Nacht
nicht umhin, den Gedanken faszinierend zu finden; auf chirurgischem Wege Sprache zu erzeugen.
Er wusste eine Menge über Phoneme und die kleinsten Bestandteile der Sprache, die vielen Kulturen gemeinsam waren. Nie zuvor hatte er sich jedoch Gedanken über die eigentlichen Sprachwerkzeuge – den Gaumen, die Lippen, die Zunge, die Stimmbänder – gemacht. Mit dem Skalpell die Sprache aus einem unförmigen Rohmaterial herauszumeißeln, wie Rodins Skulpturen allmählich aus unbearbeitetem Marmor Gestalt annahmen.
Dennoch war das Ganze natürlich sinnlos. Er hatte nicht vor zu sprechen. Außerdem hegte er den Verdacht, dass der Arzt aus einem ganz bestimmten Grund über diese Dinge gesprochen hatte. Er war, was man gemeinhin selbstmordgefährdet nannte. Folglich war es wichtig, ihm eine Art lineare Zeitauffassung einzuprägen. Ihm das Gefühl vom Leben als Projekt, als Traum von zukünftigen Eroberungen wiederzugeben.
Er wollte davon nichts wissen.
Wenn Eli ihn brauchte, konnte er sich vorstellen zu leben. Sonst nicht. Nichts deutete darauf hin, dass Eli ihn brauchte.
Aber wie hätte Eli auch an diesem Ort Kontakt zu ihm aufnehmen können?
Angesichts der Baumwipfel vor seinem Fenster ahnte er, dass er sich in größerer Höhe befand. Außerdem wurde er gut bewacht. Außer Ärzten und Krankenschwestern gab es immer mindestens einen Polizisten in seiner Nähe. Eli konnte nicht zu ihm, und er konnte nicht zu Eli. Ihm hatte vorgeschwebt auszubrechen, ein letztes Mal Kontakt zu Eli aufzunehmen. Aber wie?
Die Operation an seinem Hals hatte ihn wieder befähigt, eigenständig zu atmen, er musste nicht mehr an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden. Nahrung konnte er allerdings auf normalem Wege noch nicht zu sich nehmen (auch das würde in Angriff genommen werden, hatte der Arzt ihm versichert). Der Infusionsschlauch schaukelte am Rande seines Blickfelds beständig hin und her. Zog er ihn heraus, würde vermutlich irgendwo ein Alarm ausgelöst werden, und es kam noch erschwerend hinzu, dass er ausgesprochen schlecht sah. An einen Ausbruch war also vorerst nicht zu denken.
Ein plastischer Chirurg hatte ein Stück Haut von seinem Rücken zu seinem Lid verpflanzt, damit er das Auge schließen konnte.
Er schloss das Auge.
Die Tür zu seinem Zimmer wurde geöffnet. Es war mal wieder so weit. Er erkannte die Stimme. Es war immer der gleiche Mann.
»Tja, mein Lieber«, sagte der Mann. »Die meinen hier, dass die nächste Zeit mit Sprechen noch nicht viel ist. Wirklich schade. Aber mir will einfach die Idee nicht aus dem Kopf, dass wir uns trotzdem verständigen könnten, Sie und ich, wenn Sie nur ein klein wenig dazu bereit wären.«
Håkan versuchte sich in Erinnerung zu rufen, was Platon in »Der Staat« über Mörder und Gewaltverbrecher sagte, wie man seiner Meinung nach mit ihnen verfahren sollte.
»Ach, jetzt können Sie ja auch Ihr Auge schließen. Wie schön. Wissen Sie was? Was halten Sie davon, wenn ich ein bisschen konkreter werde. Mir ist nämlich der Gedanke gekommen, dass Sie mir vielleicht nicht glauben, dass wir Sie identifizieren werden. Aber das werden wir. Sie werden sich sicher erinnern, dass sie eine Armbanduhr trugen. Glücklicherweise war es ein älteres Fabrikat mit den Initialen und der Seriennummer des Herstellers. Den werden wir in ein paar Tagen auf die eine oder andere Art ausfindig gemacht haben. In einer Woche vielleicht. Und es gibt noch weitere Dinge dieser Art.
Wir finden Sie, daran führt kein Weg vorbei.
Also … Max. Ich weiß nicht, warum ich Sie Max nennen will, es ist nur eine provisorische Lösung. Max? Vielleicht haben Sie ja Lust, uns in diesem Punkt ein wenig behilflich zu sein? Ansonsten werden wir ein Foto von Ihnen machen müssen und es eventuell an die Presse weitergeben und … nun ja, Sie verstehen schon. Das wird … kompliziert. Es wäre alles so viel einfacher, wenn Sie jetzt mit mir sprechen … oder etwas in der Art … würden.
Sie hatten doch einen Zettel mit dem Morsealphabet in der Tasche. Beherrschen Sie das Morsealphabet? Wenn es so ist, könnten wir uns durch Klopfzeichen unterhalten.«
Håkan öffnete sein Auge, schaute zu den beiden dunklen Flecken in dem Weißen, dem verschwommenen Oval, das für ihn das Gesicht des Mannes war. Der Mann beschloss offenbar, dies als Ermunterung aufzufassen, und sprach weiter.
»Und dann dieser Mann im Wasser. Sie haben ihn doch gar nicht getötet, nicht wahr? Die Pathologen sagen, dass die Bisswunden am Hals
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