Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
Vom Netzwerk:
nickte und sagte an die alte Tante gewandt »hm«. Oskar stieg aus dem Bus, blieb einen Augenblick vor Papa stehen. In der letzten Woche waren Dinge geschehen, die dazu geführt hatten, dass Oskar sich jetzt groß fühlte. Nicht erwachsen. Aber jedenfalls größer. Das alles fiel nun von ihm ab, als er vor Papa stand.
    Mama behauptete, Papa sei auf eine ungute Art kindisch. Unreif, unfähig, Verantwortung zu übernehmen. Oh, sie sagte durchaus auch nette Dinge über ihn, aber das war ein Problem, auf das sie immer wieder zurückkam. Seine Unreife.
    Für Oskar war Papa dagegen ein Sinnbild für den Erwachsenen an sich, wie er jetzt vor ihm stand und seine kräftigen Arme ausstreckte, und Oskar ließ sich in seine Umarmung fallen.
    Papa roch anders als die Menschen in der Stadt. In seiner zerrissenen, mit Klettband geflickten Helly-Hansen-Weste hing die immer gleiche Mischung aus Holz, Farbe, Metall und vor allem Öl. Das waren die Düfte, aber so nahm Oskar diesen Geruch gar nicht wahr. Er war für ihn schlichtweg »Papas Geruch«. Er liebte ihn und atmete tief durch die Nase ein, während er sein Gesicht gegen Papas Brust presste.
    »Ja, hallo du.«
    »Hallo, Papa.«
    »Hattest du eine gute Reise?«
    »Nee, wir sind mit einem Elch zusammengestoßen.«
    »Oh je. Das ist ja übel.«
    »War nur Spaß.«
    »Aha, aha. Tja, ich erinnere mich noch …«
    Während sie zum Geschäft gingen, erzählte Papa, wie er einmal mit einem Lastwagen einen Elch angefahren hatte. Oskar kannte die Geschichte schon und schaute sich um, brummte nur ab und zu bestätigend.
    Södersviks Geschäft sah so heruntergekommen aus wie eh und je. Schilder und Wimpel, die in Erwartung des nächsten Sommers an ihrem Platz belassen worden waren, ließen den ganzen Laden aussehen wie eine überdimensionierte Eisbude. Das große Zelt hinter dem Geschäft, in dem Gartengeräte, Blumenerde, Gartenmöbel und Ähnliches verkauft wurde, war bis zur nächsten Sommersaison abgebaut worden.
    Im Sommer vervierfachte sich Södersviks Einwohnerzahl. Das ganze Areal Richtung Norrtäljebucht und Lågarö war ein einziges Gewimmel aus Sommerhäusern und Wochenendhäusern, und obwohl die Briefkästen nach Lågarö hinaus zu jeweils dreißig Stück in doppelten Reihen hingen, musste der Briefträger um diese Jahreszeit nur selten dort hinausfahren. Keine Menschen, keine Post.
    Passend dazu, dass sie das Moped erreichten, kam Papa zum Ende seiner Geschichte von dem Elch.
    »… also musste ich ihm einen mit dem Brecheisen überbraten, das ich dabei hatte, um Kisten zu öffnen und so. Mitten zwischen die Augen. Er fuhr so zusammen und … tja. Nein, das hat keinen Spaß gemacht.«
    »Nee. Schon klar.«
    Oskar sprang auf die Ladefläche, zog die Beine unter sich.
    Papa suchte in der Tasche seiner Weste, zog eine Zipfelmütze heraus.
    »Hier. Zieht ein bisschen an den Ohren.«
    »Lass mal, ich hab selber eine.«
    Oskar zog seine eigene Zipfelmütze heraus, setzte sie auf. Papa stopfte die andere wieder in die Tasche.
    »Was ist mit dir? Es zieht ein bisschen an den Ohren.«
    Papa lachte.
    »Nee, ich bin das gewohnt.«
    Das wusste Oskar natürlich. Er wollte ihn nur ein bisschen ärgern. Er konnte sich nicht erinnern, seinen Vater jemals mit einer Wollmütze gesehen zu haben. Wenn es so richtig bitterkalt und windig wurde, mochte es wohl vorkommen, dass er sich eine Art Bärenfellmütze mit Ohrschützern aufsetzte, die er »das Erbteil« nannte, aber mehr kam nicht in Frage.
    Papa trat den Motor des Mopeds an, und er kreischte wie eine Motorsäge. Er rief Oskar etwas über den »Leerlauf« zu und legte den ersten Gang ein. Das Moped machte einen Satz nach vorn, der Oskar beinahe rücklings herunterfallen ließ, und Papa rief »die Kupplung« und dann rollten sie los.
    Der zweite. Der dritte. Das Moped schoss durchs Dorf. Oskar saß im Schneidersitz auf der klappernden Ladefläche. Er fühlte sich wie der König über alle Reiche dieser Erde und hätte ewig so weiterfahren mögen.
    *
    Ein Arzt hatte es ihm erklärt. Die Dämpfe, die er eingeatmet hatte, hatten seine Stimmbänder verätzt, weshalb er wahrscheinlich nie weder normal sprechen können würde. Durch eine neuerliche Operation konnte eine rudimentäre Fähigkeit, Vokale hervorzubringen, wiederhergestellt werden, aber da auch Zunge und Lippen schwer verletzt waren, würden weitere Operationen erforderlich sein, um ihn wieder in die Lage zu versetzen, Konsonanten zu formen.
    Als alter Schwedischlehrer konnte Håkan

Weitere Kostenlose Bücher