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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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würde sie dazu zwingen.
    Sie war krank. Gegen Krankheiten gab es Medikamente.
    Morgen würde sie einen Arzt aufsuchen, einen Arzt, der sie untersuchte und anschließend sagte: Tja, das ist nur ein Fall von dem und dem. Wir werden Ihnen für die nächsten Wochen das und das verschreiben müssen. Dann ist es bald wieder vorbei.
    Sie lief in der Wohnung auf und ab. Ihre Unruhe wurde langsam wieder unerträglich.
    Sie schlug sich selbst auf Arme, Beine, aber die kleinen Fische waren zu neuem Leben erwacht, und nichts half. Sie wusste, was sie zu tun hatte. Aus Angst vor dem Schmerz schluchzte sie auf. Aber der Schmerz war so kurz und die Linderung so groß.
    Sie ging in die Küche und holte ein scharfes, kleines Obstmesser, setzte sich auf die Couch im Wohnzimmer und setzte die Klinge auf die Innenseite des Unterarms.
    Sie tat es nur, um die Nacht zu überstehen. Morgen würde sie sich Hilfe holen. Es sagte sich doch von selbst, dass sie so nicht weitermachen konnte. Sein eigenes Blut trinken. Das musste anders werden. Aber jetzt und bis auf weiteres …
    Speichel sammelte sich in ihrem Mund, feuchte Erwartung. Sie schnitt. Tief.

SAMSTAG, 7. NOVEMBER (ABEND)
    Oskar räumte den Tisch ab, und Papa spülte. Die Eiderente war natürlich unglaublich gut gewesen. Keine Schrotkörner. Auf den Tellern gab es kaum etwas abzuspülen. Nachdem der größte Teil der Ente und fast alle Kartoffeln verspeist waren, hatten sie die Teller mit Weißbrot sauber gewischt. Das war das Leckerste von allem. Nur Sauce auf den Teller zu geben und sie mit Stücken luftigen Weißbrots aufzusaugen, die sich in der Sauce halb auflösten, um im Mund regelrecht zu zerschmelzen.
    Papa war kein wirklich guter Koch, aber drei Gerichte – Pyttipanna, gebratene Heringe und Ente – bereitete er so oft zu, dass er sie beherrschte. Morgen würde er aus dem restlichen Geflügelfleisch und den letzten Kartoffeln ein Pyttipanna machen.
    Oskar hatte die Stunde vor dem Essen in seinem Zimmer verbracht. Er hatte bei Papa ein eigenes Zimmer, das verglichen mit seinem Zimmer in der Stadt kärglich eingerichtet war, ihm aber dennoch gefiel. In der Stadt hatte er Poster und Bilder, jede Menge Sachen, es veränderte sich ständig.
    Dieses Zimmer veränderte sich dagegen nie, und genau das gefiel ihm daran so gut.
    Es sah heute noch so aus wie damals, als er sieben war. Wenn er das Zimmer mit dem vertrauten Geruch von Feuchtigkeit betrat, die nach einem schnellen Anheizen vor seiner Ankunft noch in der Luft hing, war ihm, als wäre seit langer, langer Zeit nichts mehr geschehen.
    Hier lagen noch immer die Donald Duck- und Winnie Puh-Comics, die sie im Laufe mehrerer Sommer gekauft hatten. In der Stadt las er diese Hefte nicht mehr, hier aber tat er es. Er konnte die Geschichten auswendig, las sie trotzdem immer wieder.
    Während die Düfte aus der Küche zu ihm hereinzogen, hatte er auf seinem Bett gelegen und in einem dieser alten Donald Duck-Hefte gelesen. Donald, Tick, Trick und Track und Onkel Dagobert reisten in ein fernes Land, in dem es kein Geld gab und die Kronkorken der Flaschen, die Onkel Dagoberts Beruhigungsmittel enthielten, zur Währung erhoben wurden.
    Als er die Geschichte ausgelesen hatte, beschäftigte er sich eine Weile mit seinen Angelhaken, Pilken und Blinkern, die er in einem alten Nähkästchen verwahrte, das er von Papa bekommen hatte. Er band eine neue Leine mit fünf einzelnen Haken und befestigte die Pilke für das Heringsfischen im nächsten Sommer daran. Dann aßen sie, und nachdem Papa gespült hatte, spielten sie Fünf gewinnt.
    Oskar saß gerne so mit Papa zusammen; das karierte Papier auf dem schmalen Tisch, ihre Köpfe über das Blatt gebeugt, nah aneinander. Das Feuer knisterte im Holzherd.
    Oskar hatte wie üblich die Kreuze und Papa die Kreise. Papa hatte Oskar niemals absichtlich gewinnen lassen, und bis vor ein, zwei Jahren war er stets überlegen gewesen, auch wenn es Oskar ab und an einmal gelang, eine Partie zu gewinnen. Doch diesmal verlief das Spiel ausgeglichener. Vielleicht lag es daran, dass Oskar so viel an seinem Zauberwürfel gearbeitet hatte. Die einzelnen Partien konnten sich über das halbe Blatt erstrecken, was für Oskar von Vorteil war. Er war gut darin, sich Stellen mit Lücken zu merken, die ausgefüllt werden konnten, wenn Papa etwas Bestimmtes vorhatte, konnte er ein Vorrücken als Verteidigung maskieren.
    Heute Abend gewann Oskar.
    Drei Partien hatten sie in Folge beendet und mit einem »O« in der Mitte

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