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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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ging die Björnsonsgatan hinab, am ICA vorbei, hielt die Pralinenschachtel in der Hand.
    »PIZZATOMATEN. DREI DOSEN 5,–«
    Das war sechs Tage her.
    Lackes Hand lag immer noch auf dem Stein in seiner Tasche. Er betrachtete das Schild, konnte vor seinem inneren Auge sehen, wie sich Virginias Hand bewegte, um die gleichmäßigen, geraden Buchstaben hervorzuzaubern. Sie war heute doch hoffentlich zu Hause geblieben und hatte sich ausgeruht? Das sähe ihr ähnlich, gleich wieder zur Arbeit zu latschen, noch ehe das Blut richtig getrocknet war.
    Als er den Eingang zu ihrem Haus erreichte, blickte er zu ihren Fenstern hinauf. Kein Licht. War sie vielleicht bei ihrer Tochter? Egal. Er würde auf jeden Fall hinaufgehen und die Pralinenschachtel auf der Türklinke absetzen, auch wenn sie nicht zu Hause war. Im Eingangsbereich war es stockfinster. In seinem Nacken sträubten sich die Haare.
    Das Kind ist hier.
    Sekundenlang blieb er ganz still stehen, stürzte dann zu dem leuchtenden roten Punkt des Lichtschalters, drückte ihn mit dem Rücken der Hand, in der er die Pralinenschachtel hielt. Die andere Hand umklammerte den Stein in seiner Tasche.
    Man hörte ein sanftes Klicken von dem Relais im Keller, als die Treppenbeleuchtung anging. Nichts. Virginias Haus. Gelbe Betontreppen und kackbraune Wände. Holztüren. Er atmete ein paar Mal tief durch und stieg die Treppen hinauf.
    Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie müde er war. Virginia wohnte ganz oben, im dritten Stock, und seine Beine schleppten sich die Treppen hinauf, waren zwei leblose, an den Hüften befestigte Bretter. Er hoffte, dass Virginia zu Hause war und es ihr gut ging und er sich in ihren Kunststoffsessel fallen lassen und an dem Ort ausruhen können würde, an dem er am liebsten sein wollte. Er ließ den Stein in der Tasche los und klingelte. Wartete einen Moment, klingelte erneut.
    Er versuchte bereits die Pralinenschachtel auf der Türklinke zu balancieren, als er in der Wohnung schleichende Schritte hörte. Er trat einen Schritt zurück. Die Schritte hörten auf. Sie stand hinter der Tür.
    »Wer ist da?«
    Noch nie, wirklich nie hatte sie diese Frage gestellt. Man klingelte; tapp, tapp, tapp hörte man ihre Schritte, und die Tür wurde geöffnet. Komm rein, komm rein. Er räusperte sich. »Ich bin’s.«
    Eine Pause. Konnte er sie atmen hören, oder bildete er sich das nur ein?
    »Was willst du?«
    »Ich wollte nur mal hören, wie es dir geht.«
    Eine erneute Pause.
    »Mir geht es nicht gut.«
    »Darf ich hereinkommen?«
    Er wartete, hielt die Pralinenschachtel dümmlich mit beiden Händen vor sich. Es klackte, als das Schloss geöffnet wurde, Schlüssel rasselten, als sich der Schlüssel im Sicherheitsschloss drehte. Erneutes Rasseln, als die Sicherheitskette losgehakt wurde. Die Klinke wurde herabgedrückt und die Tür geöffnet.
    Er wich unwillkürlich einen halben Schritt zurück, stieß mit dem Rücken gegen das Ende des Treppengeländers. Virginia stand in der offenen Tür. Sie sah aus wie der lebendige Tod.
    Abgesehen von der geschwollenen Wange war ihr Gesicht von kleinen, winzig kleinen Pusteln übersät, und ihre Augen sahen aus, als hätte sie den schlimmsten Kater aller Zeiten. Ein dichtes Netz roter Linien verzweigte sich auf ihren Augäpfeln, und die Pupillen waren beinahe verschwunden. Sie nickte. »Ich sehe zum Kotzen aus.«
    »Aber nein. Es ist nur … ich dachte vielleicht … kann ich hereinkommen?«
    »Nein. Ich fühle mich zu schwach.«
    »Bist du beim Arzt gewesen?«
    »Ich werde hingehen. Morgen.«
    »Ja. Hier, ich …«
    Er überreichte die Pralinenschachtel, die er die ganze Zeit wie einen Schild vor sich gehalten hatte. Virginia nahm sie entgegen. »Danke.«
    »Du? Gibt es irgendetwas, das ich …«
    »Nein. Es wird schon werden. Ich muss mich nur ausruhen. Ich fühle mich zu schwach, hier noch länger zu stehen. Ich melde mich.«
    »Ja. Ich komme …«
    Virginia schloss die Tür.
    »… morgen wieder.«
    Erneutes Rasseln von Schlössern und Ketten. Er blieb mit hängenden Armen vor ihrer Tür stehen. Trat schließlich vor und legte ein Ohr an sie. Er hörte, dass ein Schrank geöffnet wurde, langsame Schritte in der Wohnung.
    Was soll ich nur tun?
    Es stand ihm nicht zu, sie zu etwas zu zwingen, was sie nicht wollte, aber am liebsten hätte er sie auf der Stelle ins Krankenhaus gebracht. Na schön. Er würde morgen Vormittag wiederkommen. Hatte sich ihr Zustand bis dahin nicht gebessert, würde er sie ins Krankenhaus bringen, ob

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