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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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diese Nacht trotz allem gehabt: Er hatte eine Entscheidung getroffen. Am Sonntagvormittag war er bei Virginia gewesen, hatte geklopft. Niemand hatte ihm geöffnet, und er war davon ausgegangen … hatte gehofft, dass sie ins Krankenhaus gegangen war. Auf dem Rückweg war er an zwei Frauen vorbeigekommen, die sich unterhielten, und er hatte etwas von einem Mörder aufgeschnappt, nach dem die Polizei im Judarnwald fahndete.
    Mein Gott, hier lauert ein Mörder in jedem verdammten Busch. Jetzt haben die Zeitungen was Neues, worin sie sich suhlen können.
    Gut zehn Tage waren vergangen, seit man den Vällingbymörder gefasst hatte, und die Zeitungen waren es leid zu spekulieren, wer er war und warum er getan hatte, was er getan hatte.
    Die Artikel, die über ihn geschrieben worden waren, wiesen einen eindeutigen Hang zur … nun ja, Schadenfreude auf. Man hatte mit quälender Genauigkeit den jetzigen Zustand des Mörders beschrieben, der noch ein halbes Jahr im Krankenhaus liegen müssen würde. Direkt daneben fand sich ein kleiner informativer Artikel darüber, was Salzsäure mit dem menschlichen Körper anstellte, sodass man sich so richtig daran ergötzen konnte, welche Schmerzen er haben musste.
    Nein, Lacke konnte sich an so etwas nicht erfreuen und fand es einfach nur widerlich, wie die Leute über jemanden hetzten, der »seine gerechte Strafe bekommen hatte« und so weiter. Er war uneingeschränkt gegen die Todesstrafe. Nicht etwa, weil er eine »moderne« Rechtsauffassung hatte, nein, nein. Die war eher uralt und lautete: Wenn jemand mein Kind tötet, dann töte ich die betreffende Person. Dostojewski laberte viel von Vergebung, Gnade. Sicher. Von Seiten der Gesellschaft, absolut. Aber ich als Elternteil des getöteten Kindes habe das volle moralische Recht, der Person das Leben zu nehmen, die es getan hat. Dass die Gesellschaft mir anschließend acht Jahre oder so im Knast aufbrummt, ist etwas anderes.
    Das war nicht Dostojewskis Meinung, und das wusste Lacke. Aber er und Fjodor hatten in diesem Punkt eben unterschiedliche Auffassungen.
    Lacke dachte über diese Dinge nach, während er nach Hause in die Ibsengatan ging. Zu Hause angekommen, merkte er, dass er Hunger hatte, kochte sich eine Portion kleiner Makkaroni und löffelte sie mit Ketchup direkt aus dem Topf. Während er Wasser in den Topf laufen ließ, damit er sich später leichter spülen ließ, plumpste etwas durch den Briefschlitz.
    Reklame. Er scherte sich nicht darum, hatte ja doch kein Geld.
    Richtig. Da war doch was.
    Er wischte den Küchentisch mit dem Spüllappen ab, holte das Briefmarkenalbum seines Alten aus dem Büfett, das ebenfalls ein Erbstück seines Vaters war und damals nur mit einiger Mühe nach Blackeberg verfrachtet werden konnte. Er legte das Album behutsam auf den Küchentisch, öffnete es.
    Da waren sie. Vier ungestempelte Exemplare der ersten Briefmarke, die jemals in Norwegen herausgegeben worden war. Er beugte sich über das Album, musterte mit zusammengekniffenen Augen den Löwen, der vor hellblauem Hintergrund auf den Hintertatzen stand.
    Unglaublich.
    Vier Schilling hatten sie gekostet, als sie 1855 herauskamen. Jetzt waren sie … mehr wert. Dass sie in zwei Paaren zusammenhingen, machte sie noch wertvoller.
    Das war es, was er heute Nacht beschlossen hatte, während er sich zwischen verrauchten Laken hin und her wälzte; es war so weit. Diese letzte Sache mit Virginia war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Hinzu kam dann noch das Unvermögen der Jungs, es zu kapieren, die Erkenntnis: Nein, das sind keine Menschen, mit denen man auf Dauer seine Zeit verbringen will.
    Er würde fortgehen, und Virginia auch.
    Schlechte Preise hin oder her, gut dreihunderttausend würde er für die Briefmarken bestimmt bekommen, weitere zweihunderttausend für die Wohnung. Anschließend war die Zeit reif für ein Haus auf dem Land. Ja, okay: für zwei Häuser. Einen kleinen Hof. Das Geld dafür war da, und es würde funktionieren. Sobald Virginia wieder gesund war, würde er ihr seine Idee erklären, und er glaubte … ja, er war fast sicher, dass sie einverstanden sein, die Idee regelrecht lieben würde.
    So sollte es sein.
    Lacke war jetzt ruhiger, sah alles ganz deutlich vor sich. Was er heute, was er in Zukunft tun würde. Es würde sich alles regeln.
    Ganz erfüllt von erfreulichen Gedanken dieser Art, ging er ins Schlafzimmer, legte sich aufs Bett, um sich fünf Minuten auszuruhen, und schlief ein.
    *
    »Wir sehen

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