So finster die Nacht
Problem war nun, dass er mitten in seiner Predigt war und sich nicht lange damit befassen konnte, über diese Fragen nachzudenken. Folglich tat Bror Ardelius, was die meisten Menschen in einer solchen Situation tun: Er machte weiter, als wäre nichts geschehen, und hoffte, dass sich die Probleme von alleine lösen würden, wenn man ihnen kein Gewicht beimaß. Also räusperte er sich und versuchte sich zu erinnern, was er zuletzt gesagt hatte.
Die Taten des Herrn. Etwas darüber, Kraft aus den Taten des Herrn zu schöpfen. Ein Beispiel.
Er schielte auf die Stichworte auf seinem Blatt hinab. Dort stand: barfuß.
Barfuß? Was meine ich damit? Dass die Juden barfuß gingen, oder dass Jesus … eine lange Wanderung …
Er blickte auf, sah, dass der Rauch inzwischen dichter geworden war, eine Säule bildete, die sachte aus dem Taufbecken zur Decke aufstieg. Was hatte er zuletzt gesagt? Ach ja. Er erinnerte sich. Die Worte hingen noch in der Luft.
»Und die Kraft dazu können wir aus den Taten des Herrn schöpfen.«
Das war ein angemessener Abschluss. Es war nicht gut, nicht das, was er ursprünglich geplant hatte, aber durchaus passend. Er lächelte die Gemeinde verwirrt an und nickte Birgitta zu, die den Chor leitete.
Der Chor, acht Personen, erhob sich wie ein Mann und ging zum Podium. Als die Sänger sich zur Gemeinde umdrehten, konnte er ihren Gesichtern ansehen, dass auch sie den Rauch sahen. Gelobt sei Gott, der Herr; ihm war flüchtig der Gedanke gekommen, dass er womöglich der Einzige war, der ihn sah.
Birgitta schaute ihn fragend an, und er machte eine Handbewegung: fang an, fang an.
Der Chor begann zu singen.
Führe mich, Herr, führe mich in Gerechtigkeit
Lass meine Augen schauen deinen Weg
Eine von Wesleys wirklich hübschen Kompositionen. Bror Ardelius hätte sich gewünscht, die Schönheit des Gesangs genießen zu können, aber die Wolkensäule beunruhigte ihn allmählich. Dicker, weißer Rauch quoll aus dem Taufbecken, und im Becken selbst brannte etwas mit einer bläulich weißen Flamme, das zischte und Funken sprühte. Ein süßlicher Geruch stieg ihm in die Nase, und seine Gemeinde blickte sich um, wollte herausfinden, woher das knisternde Geräusch kam.
Denn einzig du, o Herr, einzig du
schenkst der Seele Ruhe und Zuversicht
Eine der Frauen im Chor begann zu husten. Die Gemeindemitglieder wandten ihre Köpfe von dem qualmenden Taufbecken ab und Bror Ardelius zu, um von ihm Führung in der Frage zu erhalten, wie sie sich verhalten sollten, um zu erfahren, ob dies zum Gottesdienst gehörte.
Weitere Personen begannen zu husten, hielten sich Taschentücher oder Ärmel vor Nase und Mund. Die Kirche füllte sich mit einem dünnen Nebel, und durch diesen Nebel hindurch sah Bror Ardelius, wie jemand in der hintersten Bankreihe aufstand und zur Tür hinauslief.
Ja. Das ist wohl das einzig Vernünftige.
Er lehnte sich zum Mikrofon vor.
»Ja, es ist ein kleines … Missgeschick passiert, und ich denke, es wird das Beste sein, wenn wir … den Raum verlassen.«
Schon bei dem Wort »Missgeschick« verließ Staffan das Podium und bewegte sich mit schnellen, kontrollierten Schritten Richtung Ausgang. Er begriff. Das hatte Yvonnes Sohn, dieser missratene Dieb, auf dem Gewissen. Schon in diesem Moment, während er das Podium verließ, versuchte er sich zu zügeln, denn er ahnte, wenn er Tommy jetzt in die Finger bekam, lief er ernsthaft Gefahr, ihm eine zu langen.
Das war zwar genau, was dieser Rowdy brauchte, das war genau die Führung, an der es ihm fehlte.
Hallo Wolkensäule, komm mir mal helfen. Dem Burschen fehlt nichts als ein paar ordentliche Ohrfeigen.
Aber so, wie die Dinge momentan lagen, würde Yvonne dies nicht akzeptieren. Waren sie erst einmal verheiratet, sah die Sache schon ganz anders aus. Dann würde er verdammt nochmal Tommys Erziehung übernehmen. Aber zuallererst würde er ihn sich jetzt schnappen. Ihn zumindest gehörig durchschütteln.
Doch Staffan kam nicht weit. Bror Ardelius’ Worte von der Kanzel hatten die Wirkung eines Startschusses auf die Gemeinde, die nur auf seine Erlaubnis gewartet hatte, um die Kirche zu verlassen. Auf halber Strecke im Mittelgang wurde Staffan der Weg von alten, verhutzelten Frauen versperrt, die mit verbissener Entschlossenheit zum Ausgang strebten.
Seine rechte Hand bewegte sich zur Hüfte, aber er hielt auf halbem Weg inne, ballte sie zur Faust. Selbst wenn er jetzt einen Schlagstock gehabt hätte, wäre es wohl kaum angemessen
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