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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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Menschen.«
    »Nein. Aber du würdest es gerne tun. Wenn du könntest. Und du würdest es wirklich tun, wenn du müsstest.«
    »Weil ich sie hasse. Das ist ein riesiger …«
    »Unterschied. Ist es das?«
    »Ja …?«
    »Wenn du damit davonkämst. Wenn es einfach so passieren würde. Wenn du dir wünschen könntest, sie wären tot, und daraufhin würden sie sterben. Würdest du es dann nicht tun?«
    »… doch.«
    »Doch. Und das geschähe nur zu deinem Vergnügen. Aus Rache. Ich tue es, weil ich es tun muss. Es gibt keinen anderen Weg.«
    »Aber das ist doch, weil sie … sie mir wehtun, weil sie mich ärgern, weil ich …«
    »Weil du leben willst. Genau wie ich.«
    Eli streckte seine Arme aus, legte sie auf Oskars Wangen, zog sein Gesicht näher an das eigene heran.
    »Werde für eine Weile ich.«
    Und küsste ihn.
    *
    Die Finger des Mannes sind um die Würfel gekrümmt, und Oskar sieht, dass seine Fingernägel schwarz lackiert sind.
    Das Schweigen hängt wie ein erstickender Nebel in dem Saal. Die schmale Hand dreht sich … langsam … und die Würfel fallen heraus, auf den Tisch herab … pa-dang. Stoßen gegeneinander, rollen, bleiben liegen.
    Eine Zwei. Und eine Vier.
    Ohne zu wissen, was der Grund für dieses Gefühl ist, empfindet Oskar Erleichterung, als der Mann am Tisch vorbeigeht, sich vor die Reihe der Jungen stellt wie ein General vor seine Armee. Die Stimme des Mannes ist tonlos, weder dunkel noch hell, als er einen langen Zeigefinger ausstreckt und die Reihe abzuzählen beginnt.
    »Eins … zwei … drei … vier …«
    Oskar blickt nach links, dorthin, wo der Mann zu zählen begonnen hat. Die Jungen stehen entspannt, erlöst. Ein Schluchzen. Der Junge neben Oskar krümmt sich, seine Unterlippe zittert. Er ist … Nummer sechs. Oskar begreift auf einmal seine eigene Erleichterung.
    »Fünf … sechs … und sieben.«
    Der Finger zeigt direkt auf Oskar. Der Mann sieht ihm in die Augen. Und lächelt.
    Nein!
    Es war doch … Oskars Augen reißen sich von dem Mann los, betrachten die Würfel.
    Sie zeigen jetzt eine Drei und eine Vier. Der Junge neben Oskar schaut sich so verschlafen um, als wäre er soeben aus einem Albtraum erwacht. Für eine Sekunde begegnen sich ihre Blicke. Leer. Verständnislos.
    Dann ein Schrei von der Wand.
    … Mama …
    Die Frau mit dem braunen Kopftuch läuft auf ihn zu, aber zwei Männer gehen dazwischen, packen ihre Arme und … werfen sie an die Steinwand zurück. Oskars Arme zucken, wie um sie aufzufangen, als sie fällt, und seine Lippen formen das Wort:
    »… Mama!« als sich Hände mit der Kraft von Schraubstöcken auf seine Schultern legen und er aus der Reihe heraus zu einer kleinen Tür geführt wird. Der Mann mit der Perücke hält noch immer den Finger erhoben, folgt ihm damit, während er aus dem Saal gestoßen, gezerrt wird, in einen dunklen Raum hinein, der nach
    … Alkohol …
    … riecht, dann Flimmern, undeutliche Bilder; Licht, Dunkel, Stein, nackte Haut … bis sich das Bild stabilisiert und Oskar einen starken Druck auf der Brust spürt. Er kann seine Arme nicht bewegen. Das rechte Ohr fühlt sich an, als würde es reißen, liegt auf eine … Holzscheibe gepresst.
    Etwas ist in seinem Mund. Ein Tauende. Er saugt an dem Tau, öffnet die Augen.
    Er liegt bäuchlings auf einem Tisch. Seine Arme sind an den Tischbeinen festgebunden. Er ist nackt. Vor seinen Augen sind zwei Gestalten; der Mann mit der Perücke sowie eine weitere Person. Ein kleiner, dicker Mann, der … komisch aussieht. Nein. Der aussieht wie jemand, der glaubt, dass er komisch ist. Jemand, der dauernd Geschichten erzählt, über die keiner lacht. Der komische Mann hat ein Messer in der einen Hand, eine Schüssel in der anderen.
    Irgendetwas stimmt nicht.
    Der Druck auf seiner Brust, am Ohr. An den Knien. Es müsste auch einen Druck an … seinem Strulli geben. Aber es ist, als sei genau an dieser Stelle … ein Loch im Tisch. Oskar versucht sich zu winden, um es besser fühlen zu können, aber sein Körper ist zu fest verschnürt.
    Der Mann mit der Perücke sagt etwas zu dem komischen Mann, und der komische Mann lacht, nickt. Dann gehen beide in die Hocke. Der Perückenmann richtet den Blick auf Oskar. Seine Augen sind so strahlend blau wie der Himmel an einem kalten Herbsttag, wirken freundlich interessiert. Der Mann schaut in Oskars Augen, als suchte er in ihnen etwas Schönes, etwas, das er liebt.
    Der komische Mann kriecht mit dem Messer und der Schüssel in den Händen unter den Tisch.

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