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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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Schultern hoch. Dann entspannte er sich wieder, sagte sanfter:
    »Ich weiß es nicht. Entschuldige. Ich muss mich für das Ganze entschuldigen … für alles. Ich wollte, dass du … ich weiß auch nicht. Verzeih mir. Es war … dumm.«
    Eli war eine Kopie seiner Mutter. Schmächtiger, glatter, jünger, aber … eine Kopie. In zwanzig Jahren würde Eli vermutlich genauso aussehen wie die Frau am Bach.
    Abgesehen davon, dass es nicht so kommen wird. Denn er wird genauso aussehen wie jetzt.
    Oskar seufzte erschöpft, lehnte sich auf der Couch zurück. Das war einfach zu viel. Leichte Kopfschmerzen tasteten sich über seine Schläfen, fanden Halt, drückten zu. Einfach zu viel.
    Eli stand auf.
    »Ich werde jetzt gehen.«
    Oskar lehnte den Kopf in die Hand, nickte. Er hatte nicht die Kraft zu protestieren oder darüber nachzudenken, was er tun sollte. Eli zog den Bademantel aus, wodurch Oskar nochmals Gelegenheit bekam, einen Blick auf den Unterleib zu werfen. Jetzt sah er, dass sich von der bleichen Haut ein schwachrosa Fleck, eine Narbe absetzte.
    Wie stellt er es an, wenn er … pinkelt? Vielleicht muss er ja nicht …
    Er konnte einfach nicht danach fragen. Eli ging neben der Plastiktüte in die Hocke, öffnete sie und begann, seine Kleider herauszuziehen. Oskar sagte: »Du kannst … was von mir haben.«
    »Ist schon gut.«
    Eli holte das karierte Hemd heraus. Dunkle Flecken auf hellblauem Grund. Oskar setzte sich auf. Die Kopfschmerzen wirbelten gegen seine Schläfen.
    »Sei nicht albern, du kannst …«
    »Ist schon okay.«
    Eli wollte sich das blutbefleckte Hemd überziehen, und Oskar sagte: »Du bist doch eklig, kapierst du das nicht? Du bist doch eklig.«
    Eli wandte sich mit dem Hemd in der Hand um: »Findest du?«
    »Ja.«
    Eli stopfte das Hemd in die Tüte zurück.
    »Was soll ich denn sonst anziehen?«
    »Etwas aus dem Kleiderschrank, nimm dir, was du willst.«
    Eli nickte und ging in Oskars Zimmer, wo die Kleiderschränke standen, während Oskar seitwärts auf die Couch hinabrutschte und die Hände gegen die Schläfen presste, als wollte er verhindern, dass sie zersprangen.
    Mama, Elis Mama, meine Mama, Eli, ich. Zweihundert Jahre. Elis Papa. Elis Papa? Dieser Typ, der … Der Typ.
    Eli kehrte ins Wohnzimmer zurück. Oskar wollte schon sagen, was ihm auf der Zunge lag, hielt dann jedoch inne, als er sah, dass Eli ein Kleid angezogen hatte. Ein verblichenes, gelbes Sommerkleid mit kleinen weißen Punkten. Eins von Mamas Kleidern. Eli strich mit der Hand darüber.
    »Ist das okay? Ich habe genommen, was am verwaschensten aussah.«
    »Aber das ist doch …«
    »Ich gebe es dir dann später wieder zurück.«
    »Ja. Ja, ja.«
    Eli ging zu ihm, hockte sich vor ihn, nahm seine Hand.
    »Du? Es tut mir leid, dass … ich weiß nicht, was ich sagen …«
    Oskar wedelte mit der anderen Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen, sagte: »Du weißt, dass dieser Typ, dass er ausgebrochen ist, oder?«
    »Welcher Typ?«
    »Der Typ, der … von dem du gesagt hast, er wäre dein Papa. Der mit dir zusammengewohnt hat.«
    »Was ist mit ihm?«
    Oskar schloss die Augen. Blaue Blitze leuchteten unter seinen Lidern. Die Kette der Ereignisse, die er aus den Zeitungsberichten rekonstruiert hatte, rauschte vorbei, und er wurde wütend, zog seine Hand aus Elis und ballte sie, schlug mit der Faust gegen seinen pochenden Kopf, sagte mit geschlossenen Augen: »Hör auf, hör einfach auf damit. Ich weiß alles, okay. Hör auf, mir etwas vorzuspielen. Hör auf zu lügen, ich habe das so verdammt satt.«
    Eli sagte nichts. Oskar kniff die Augen zusammen, atmete aus und ein.
    »Der Typ ist abgehauen. Sie haben den ganzen Tag nach ihm gesucht, ihn aber nicht gefunden. Jetzt weißt du es.«
    Eine Pause. Dann Elis Stimme über Oskars Kopf.
    »Wo?«
    »Hier. Im Judarn. Dem Wald. Bei Åkeshov.«
    Oskar öffnete die Augen. Eli hatte sich aufgerichtet. Er hatte die Hände auf den Mund gelegt, über den Händen waren große, verängstigte Augen. Das Kleid war ihm zu groß, hing wie ein Sack auf seinen schmalen Schultern, weshalb er aussah wie ein Kind, das sich unerlaubt die Kleider seiner Mama ausgeliehen hatte und jetzt mit einer harten Strafe rechnete.
    »Oskar«, sagte Eli. »Wenn es dunkel ist, geh nicht hinaus. Versprich mir das.«
    Das Kleid. Die Worte. Oskar schnaubte, konnte sich einfach nicht verkneifen, es zu sagen.
    »Du hörst dich an wie meine Mutter.«
    *
    Das Eichhörnchen saust den Stamm hinab, verharrt, lauscht. Eine Sirene, in weiter

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