So finster die Nacht
eine Sekunde nach und trat anschließend einen Schritt vor, überquerte die Türschwelle. Oskars ganzer Körper war angespannt, wartete auf einen blauen Blitz, darauf, dass die Tür sich bewegen, durch Eli hindurchschwingen und zuschlagen würde, oder etwas Ähnliches, doch es passierte nichts dergleichen. Eli betrat den Flur, schloss die Tür hinter sich. Oskar zuckte mit den Schultern.
»War das alles?«
»Nicht ganz.«
Eli stand so, wie sie vor der Tür gestanden hatte. Regungslos, die Arme herabhängend und die Augen auf Oskars gerichtet. Oskar schüttelte den Kopf.
»Was denn? Das ist doch …«
Er verstummte, als eine Träne aus Elis Augenwinkel quoll, nein, eine aus jedem Augenwinkel. Allerdings war es gar keine Träne, denn sie hatte eine dunkle Farbe. Die Haut in Elis Gesicht begann sich zu röten, wurde rosa, hellrot, weinrot, und ihre Hände ballten sich zu Fäusten, als sich die Poren im Gesicht öffneten und kleine Perlen aus Blut auf dem ganzen Gesicht herausquollen. Am Hals geschah das Gleiche.
Elis Lippen verzerrten sich vor Schmerz, und ein Tropfen Blut rann aus ihrem Mundwinkel, vereinte sich mit den Perlen, die aus der Haut drangen und am Kinn immer größer wurden, sich abwärts bewegten, um sich mit den Tropfen auf dem Hals zu vereinen.
Aus Oskars Armen wich alle Kraft; sie fielen hinab, und die Platte glitt aus ihrer Hülle, schlug einmal mit der Kante auf den Fußhoden, legte sich anschließend flach auf den Läufer im Flur. Sein Blick glitt zu Elis Händen.
Die Handrücken waren feucht, bedeckt von einem dünnen Film aus Blut, und es quoll immer mehr heraus.
Erneut sah er Eli in die Augen, fand sie jedoch nicht mehr. Die Augen schienen in ihre Höhlen eingesunken zu sein, sie waren voller Blut, das überlief, den Nasenrücken entlang über die Lippen in den Mund rann, wo mehr Blut hervorquoll, zwei dünne Ströme liefen aus den Mundwinkeln den Hals herab, verschwanden unter dem Halsausschnitt ihres Pullovers, auf dem sich inzwischen dunklere Flecken bildeten.
Eli blutete aus allen Poren am ganzen Körper.
Oskar rang keuchend nach Luft, schrie: »Du darfst hereinkommen, du darfst … du bist willkommen, du darfst … du darfst hier sein!«
Eli entspannte sich. Die geballten Fäuste öffneten sich. Die Grimasse aus Schmerz löste sich auf. Oskar dachte für einen Moment, dass auch das Blut verschwinden würde, dass alles gleichsam gar nicht passiert war, sobald er sie erst einmal eingeladen hatte.
Aber das stimmte nicht. Es floss zwar nicht mehr, aber Elis Gesicht und Hände blieben dunkelrot, und während die beiden sich wortlos gegenüberstanden, begann das Blut zu gerinnen, dunkle Streifen und Klumpen bildeten sich an den Stellen, wo mehr Blut geflossen war, und Oskar stieg ein schwacher Krankenhausgeruch in die Nase.
Er hob die Platte vom Boden auf, schob sie in die Hülle zurück und sagte, ohne Eli anzusehen: »Entschuldige, ich … ich hätte nicht gedacht …«
»Ist schon okay. Ich wollte es. Aber ich denke, ich sollte jetzt duschen. Hast du eine Plastiktüte?«
»Eine Plastiktüte?«
»Ja. Für die Kleider.«
Oskar nickte, ging in die Küche und fand in dem Schrank unter der Spüle eine Plastiktüte mit der Aufschrift »ICA-Supermarkt – Iss, trink und sei froh«. Er ging ins Wohnzimmer, legte die Platte auf den Couchtisch und blieb mit der raschelnden Plastiktüte in der Hand stehen.
Wenn ich nichts gesagt hätte. Wenn ich sie … weiterbluten gelassen hätte.
Er zerknüllte die Tüte in seiner Hand zu einem Ball, ließ sie zu Boden fallen. Dann hob er sie wieder auf, warf sie in die Luft, fing sie auf. Im Badezimmer wurde die Dusche angedreht Alles ist wahr. Sie ist … er ist …
Während er zum Badezimmer ging, faltete er die Plastiktüte wieder auseinander. Iss, trink und sei froh. Es plätscherte hinter der verschlossenen Tür. Das Schloss stand auf weiß. Er klopfte vorsichtig an.
»Eli …«
»Ja. Komm rein.«
»Nein, ich wollte nur … die Tüte.«
»Ich kann dich nicht hören. Komm rein.«
»Nein.«
»Oskar, ich …«
»Ich leg die Tüte hierhin!«
Er legte die Tüte vor der Badezimmertür ab und floh ins Wohnzimmer. Dort zog er die Platte aus der Hülle, legte sie auf den Plattenteller, schaltete den Plattenspieler ein und führte die Nadel zum dritten Stück, seinem Lieblingslied.
Erst kam ein ziemlich langes Intro, und danach ertönte die sanfte Stimme des Sängers aus den Boxen.
Das Mädel steckt sich Blumen ins Haar
während über die
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