So finster die Nacht
antwortete nicht, und Oskar trieb das Messer vorsichtig in ihn hinein. Er wollte die glänzende Spitze nicht beschädigen.
»So ergeht es einem, wenn man mich anglotzt.«
Er drehte das Messer, bis sich ein kleiner Span aus dem Baum löste. Ein Stück Fleisch. Er flüsterte: »Jetzt schrei wie ein Schwein.«
Er hielt inne. Meinte ein Geräusch gehört zu haben. Das Messer an der Hüfte schaute er sich um. Hob das Messer an die Augen, betrachtete es. Die Klinge glänzte noch wie vorher. Er benutzte die Klinge als Spiegel und winkelte sie in Richtung Klettergerüst. Da stand jemand, der dort kurz zuvor noch nicht gestanden hatte. Eine verwischte Kontur auf dem reinen Stahl. Er senkte das Messer und schaute zum Klettergerüst. Tatsächlich. Aber es war nicht der Vällingbymörder. Es war ein Kind.
Das Licht reichte aus, um zu erkennen, dass es ein Mädchen war, das er noch nie auf dem Hof gesehen hatte. Oskar machte einen Schritt auf das Klettergerüst zu. Das Mädchen rührte sich nicht vom Fleck. Es stand einfach da und sah ihn an.
Er machte noch einen Schritt und bekam plötzlich Angst. Wovor? Vor sich selbst. Das Messer fest im Griff bewegte er sich auf das Mädchen zu, um auf es einzustechen. Das stimmte natürlich nicht. Aber für einen kurzen Moment hatte er es so empfunden. Wieso bekam das Mädchen keine Angst?
Er blieb stehen, schob das Messer in die Scheide zurück und verstaute es unter der Jacke.
»Hallo.«
Das Mädchen antwortete nicht. Oskar war jetzt so nah, dass er sehen konnte, es hatte dunkle Haare, ein kleines Gesicht, große Augen. Weit offene Augen, die ihn ruhig ansahen. Seine Hände lagen auf dem Geländer des Klettergerüsts.
»Hallo, habe ich gesagt.«
»Ich habe es gehört.«
»Warum hast du mir dann nicht geantwortet?«
Das Mädchen zuckte mit den Schultern. Seine Stimme war nicht so hell, wie er erwartet hatte. Sie klang nach jemandem in seinem eigenen Alter.
Das Mädchen sah seltsam aus. Halblange, schwarze Haare. Ein rundes Gesicht, eine kleine Nase. Wie eine dieser Ausschneidepuppen auf den Kinderseiten von Hemmets Journal. Sehr … süß. Aber etwas war seltsam. Es trug weder Mütze noch Jacke, nur einen dünnen, rosa Pullover, obwohl es kalt war.
Das Mädchen ruckte mit dem Kopf in Richtung des Baums, auf den Oskar eingestochen hatte.
»Was machst du da?«
Oskar errötete, aber das sah man im Dunkeln doch hoffentlich nicht?
»Trainieren.«
»Und wofür?«
»Für den Fall, dass der Mörder kommt.«
»Welcher Mörder?«
»Der aus Vällingby. Der den Jungen erstochen hat.«
Das Mädchen seufzte, schaute zum Mond auf. Dann lehnte es sich vor.
»Hast du Angst?«
»Nein, aber ein Mörder, da ist es doch … ist es doch gut, wenn man … sich verteidigen kann. Wohnst du hier?«
»Ja.«
»Wo denn?«
»Da.« Das Mädchen zeigte auf die Eingangstür zu Oskars Nachbarhaus. »Neben dir.«
»Woher weißt du, wo ich wohne?«
»Ich habe dich schon mal durchs Fenster gesehen.«
Oskars Wangen glühten. Während er sich etwas einfallen zu lassen versuchte, das er sagen konnte, sprang das Mädchen von dem Klettergerüst herab und landete vor ihm. Ein Sprung von mehr als zwei Metern.
Sie muss im Turnverein sein oder so.
Das Mädchen war fast so groß wie er selbst, aber wesentlich schlanker. Der rosa Pullover schmiegte sich an den schmächtigen Oberkörper, an dem es nicht die geringste Andeutung von Brüsten gab. Seine Augen waren schwarz und riesengroß in dem kleinen, bleichen Gesicht. Es hielt ihm eine Hand entgegen, als halte es etwas zurück, was sich ihm näherte. Seine Finger waren lang, dünn, wie Zweige.
»Wir können keine Freunde werden. Nur dass du es weißt.«
Oskar verschränkte die Arme vor der Brust. Durch die Jacke spürte er den Umriss des Messergriffs unter der Hand.
»Und wieso nicht?«
Ein Mundwinkel des Mädchens hob sich zu einer Art Lächeln.
»Braucht es dafür einen Grund? Ich sage nur, wie es ist. Damit du Bescheid weißt.«
»Ja, ja.«
Das Mädchen wandte sich um, ließ Oskar stehen und ging auf sein Haus zu. Als es ein paar Schritte weit gekommen war, sagte Oskar: »Ja, meinst du etwa, ich will mit dir befreundet sein? Bei dir piept’s wohl.«
Das Mädchen blieb stehen. Rührte sich einen Moment nicht. Machte dann kehrt und ging zu Oskar zurück, stellte sich vor ihn. Flocht die Finger ineinander und ließ die Arme herabhängen.
»Was hast du gesagt?«
Oskar verschränkte die Arme fester vor der Brust, presste die Hand gegen den
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