So finster die Nacht
Ganze war einfach nur so schäbig. Das einzige Zimmer in Åkes Zweitwohnung, die vier nicht zueinander passenden Sessel, die speziell aus diesem Anlass zusammengerückt worden waren, die Tanzmusik, die im Radio lief.
Er bezahlte seinen Anteil an dem Vergnügen und sah die anderen danach nie wieder. Er hatte seine Zeitungen und Fotos, seine Filme. Das musste reichen. Vermutlich hatte er darüber hinaus Skrupel, die sich dieses eine Mal in einem intensiven Ekel vor der Situation manifestiert hatten.
Aber warum bin ich dann auf dem Weg zur Stadtbücherei?
Anscheinend wollte er ein Buch ausleihen. Das Feuer vor drei Jahren hatte sein ganzes Leben verschluckt, unter anderem auch seine Bücher. Ja. Das Geschmeide der Königin von Almqvist würde er sich ausleihen können, ehe er seine gute Tat in Angriff nahm.
Jetzt am Vormittag war in der Bücherei nicht viel los. Größtenteils ältere Männer und Studenten hielten sich in ihr auf. Er hatte das Buch, nach dem er suchte, schnell gefunden, las die ersten Worte
Tintomara! Zwei Dinge sind weiß
Unschuld-Arsen
und stellte es ins Regal zurück. Er hatte ein schlechtes Gefühl bei den Worten. Das Buch erinnerte ihn an sein früheres Leben.
Er hatte dieses Buch geliebt, es im Unterricht benutzt. Die einleitenden Worte zu lesen weckte die Sehnsucht nach einem Lesesessel in ihm. Und dieser Lesesessel sollte in einem Haus stehen, das ihm gehörte, in einem Haus voller Bücher, und er würde wieder eine Stelle haben und er würde und er wollte. Aber er hatte die Liebe gefunden, und sie allein diktierte nunmehr die Bedingungen. Kein Sessel.
Er rieb sich die Hände, als wollte er das Buch ausradieren, das sie gehalten hatten, und betrat einen kleineren Lesesaal.
Lange Tische mit lesenden Menschen. Worte, Worte, Worte. Am hinteren Ende des Saals saß ein junger Bursche in einer Lederjacke und wippte auf seinem Stuhl, während er gelangweilt in einem Bilderbuch blätterte. Håkan bewegte sich in seine Richtung, gab vor, das Regal mit Geologiebüchern zu studieren, schielte ab und an zu dem Jungen hin. Schließlich schaute der Junge auf, begegnete seinem Blick und hob die Augenbrauen wie zu einer Frage:
Willst du?
Nein, er wollte doch gar nicht. Der Junge war etwa fünfzehn Jahre alt, hatte ein plattes, osteuropäisches Gesicht, Pickel und schmale, tief liegende Augen. Håkan zuckte mit den Schultern und verließ den Lesesaal.
Vor dem Haupteingang holte der Junge ihn ein, machte eine Geste mit dem Daumen und fragte: »Fire?« Håkan schüttelte den Kopf. »Don’t smoke.«
»Okay.«
Der Junge holte ein Plastikfeuerzeug heraus, zündete sich eine Zigarette an, blinzelte ihn durch den Rauch hindurch an.
»What you like?«
»No, I …«
»Young? You like young?«
Er zog sich von dem Jungen zurück, entfernte sich vom Haupteingang, wo jeden Augenblick jemand vorbeikommen konnte. Er musste nachdenken. Er hatte nicht geglaubt, dass es so einfach sein würde. Es war doch nur eine Art Spiel gewesen, er hatte nur schauen wollen, ob Gerts Worte der Wahrheit entsprachen.
Der Junge folgte ihm, stellte sich neben ihn an die Mauer.
»How? Eight, nine? Is difficult, but …«
»NO!«
Sah er so verdammt pervers aus? Ein bescheuerter Gedanke. Weder Ove noch Torgny hatten auch nur im Geringsten … speziell ausgesehen. Es waren ganz normale Männer mit ganz normalen Jobs gewesen. Nur Gert, der nach dem Tod seines Vaters von seinem riesigen Erbe lebte und sich wirklich alles erlauben konnte, sah nach seinen zahlreichen Reisen ins Ausland inzwischen tatsächlich regelrecht widerwärtig aus. Ein schlaffer Zug um den Mund, ein Schleier auf den Augen.
Der Junge verstummte, als Håkan die Stimme hob, musterte ihn aus seinen Augenschlitzen. Zog an seiner Zigarette, ließ sie zu Boden fallen und trat darauf. Er breitete die Arme aus.
»What?«
»No, I just …«
Der Junge trat einen halben Schritt näher.
»What?«
»I … maybe … twelve?«
»Twelve? You like twelve?«
»I … yes.«
»Boy.«
»Yes.«
»Okay. You wait. Number two.«
»Excuse me?«
»Number two. Toilet.«
»Oh. Yes.«
»Ten minutes.«
Der Junge zog den Reißverschluss seiner Lederjacke zu und verschwand die Treppen hinunter.
Zwölf Jahre. Toilette zwei. Zehn Minuten.
Diese Sache war richtig, richtig dumm. Wenn nun ein Polizist kam. Nach all den Jahren wusste die Polizei doch mit Sicherheit, was hier vorging. Dann wäre er erledigt. Man würde ihn mit dem Job in Verbindung bringen, den er vorgestern
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