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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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erledigt hatte, und dann wäre alles aus. Er konnte das nicht machen.
    Geh zu den Toiletten und schau dir nur mal an, wie es da aussieht.
    Die Toiletten waren menschenleer. Ein Pissoir und drei Kabinen. Nummer zwei war offenbar die in der Mitte. Er steckte eine Ein-Kronen-Münze in das Türschloss, öffnete und trat ein, schloss die Tür hinter sich und setzte sich auf den Toilettenstuhl.
    Die Wände der Kabine waren vollgekritzelt. Nicht unbedingt die Art von Worten, die man in einer Stadtbücherei erwartet hätte. Das eine oder andere literarische Zitat:
    »HARRY ME, MARRY ME, BURY ME, BITE ME« vor allem jedoch obszöne Zeichnungen und Witze:
    »Schwanz verbrannt, Nutte kichert, hoffentlich Allianz versichert. Such nicht nach Witzen an der Wand, den größten hältst du in der Hand«, sowie eine ungewöhnlich große Zahl von Telefonnummern, die man anrufen konnte, wenn man spezielle Wünsche hatte. Zwei von ihnen trugen das Zeichen, waren vermutlich authentisch und stammten nicht nur von jemandem, der sich mit einem anderen einen Scherz erlauben wollte.
    So. Jetzt hatte er sich alles angeschaut. Jetzt sollte er lieber gehen. Man konnte nie wissen, was sich dieser Typ in der Lederjacke einfallen ließ. Er stand auf, pinkelte in die Toilette, setzte sich wieder hin. Warum hatte er gepinkelt? Er hatte doch gar nicht gemusst. Er wusste, warum er gepinkelt hatte.
    Für den Fall der Fälle.
    Die Tür zum Toilettenraum wurde geöffnet. Er hielt die Luft an. Etwas in ihm hoffte, es wäre die Polizei. Ein großer männlicher Polizist, der die Tür zur Kabine auftreten und ihn mit einem Schlagstock misshandeln würde, ehe er ihn wegsperrte.
    Tuschelnde Stimmen, federnde Schritte, ein leises Klopfen an der Tür.
    »Ja?«
    Erneutes Klopfen. Er schluckte einen dicken Klumpen Speichel und schloss auf.
    Vor der Tür stand ein etwa elf, zwölf Jahre alter Junge. Blonde Haare, zwiebelförmiges Gesicht. Schmale Lippen und große blaue Augen, die vollkommen ausdruckslos waren. Ein roter Steppanorak, der ihm ein wenig zu groß war. Direkt hinter ihm stand der ältere Junge mit der Lederjacke. Er hielt fünf Finger in die Höhe.
    »Five hundred.« Er sprach »hundred« wie »chundred« aus.
    Håkan nickte, und der ältere Junge schob den Jüngeren mit sanftem Nachdruck in die Kabine und schloss die Tür. Waren fünfhundert nicht ganz schön teuer? Nicht, dass es eine Rolle gespielt hätte, aber …
    Er betrachtete den Jungen, den er gekauft hatte. Gemietet. Nahm er irgendwelche Drogen? Vermutlich. Seine Augen waren geistesabwesend, nicht fokussiert. Der Junge stand einen halben Meter entfernt an die Tür gepresst. Er war so klein, dass Håkan nicht den Kopf heben musste, um ihm in die Augen zu sehen.
    »Hello.«
    Der Junge antwortete nicht, schüttelte nur den Kopf, zeigte auf Håkans Unterleib und machte eine Geste mit dem Finger: Öffne deinen Hosenstall. Er gehorchte. Der Junge seufzte, machte erneut eine Geste mit dem Finger: Hol den Penis heraus.
    Seine Wangen liefen rot an, als er dem Jungen gehorchte. So war es. Er gehorchte dem Jungen. Er war bei dieser Sache vollkommen willenlos. Es war nicht er, der dies tat. Sein kurzer Penis war nicht im mindesten erigiert, reichte mit knapper Not auf den Toilettendeckel hinab. Es kitzelte, als die Eichel die harte Unterlage berührte.
    Er blinzelte, versuchte die Gesichtszüge des Jungen so umzuformen, dass sie den Zügen seines Geliebten ähnlicher wurden. Es gelang ihm nicht sonderlich gut. Sein Geliebter war schön. Das war dieser Junge nicht, der sich nun auf die Knie fallen ließ und seinen Kopf zu Håkans Unterleib vorschob.
    Der Mund.
    Mit dem Mund des Jungen stimmte etwas nicht. Er legte seine Hand auf die Stirn des Jungen, bevor der Mund sein Ziel erreichen konnte.
    »Your mouth?«
    Der Junge schüttelte den Kopf und presste seine Stirn gegen Håkans Hand, um seine Arbeit fortzusetzen. Aber das ging jetzt nicht mehr. Er hatte schon einmal davon gehört.
    Er streckte den Daumen zur Oberlippe des Jungen aus und hob sie an. Der Junge hatte keine Zähne. Jemand hatte ihm die Zähne ausgeschlagen oder sie gezogen, damit er seine Arbeit besser verrichten konnte. Der Junge richtete sich auf; ein raschelnder, wispernder Laut vom Steppanorak, als er seine Arme vor der Brust verschränkte. Håkan steckte seinen Penis in die Hose zurück, zog den Reißverschluss zu, starrte zu Boden.
    Nicht so. Niemals so.
    Etwas schob sich in sein Blickfeld. Eine ausgestreckte Hand. Fünf Finger.

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